Seit dem 16. November hat Graz eine Stadtregierung, die von KPÖ, Grünen und SPÖ gestellt wird. Die Bürgerlichen machen Druck auf die KPÖ, ihr Wahlprogramm zugunsten der „Harmonie“ zwischen den Parteien und Klassen aufzugeben. Diesen Druck muss man mit einer Gegenoffensive beantworten, meint Daniel Ghanimi.

Langzeitbürgermeister Siegfried Nagl (ÖVP) wurde bei den letzten Grazer Gemeinderatswahlen von der Bevölkerung für seine Elitenpolitik abgestraft, während die KPÖ für viele GrazerInnen die Hoffnungsträgerin für eine Wende hin zu einer sozialeren Politik ist. Die KPÖ genießt durch Maßnahmen wie die Selbstreduzierung der Politikergehälter auf ca. 2000€ netto (in etwa ein Facharbeiterlohn) großes Vertrauen.

Regierungsprogramm: Viele Zugeständnisse an Bürgerliche

Am 13. November präsentierten Elke Kahr (KPÖ), Judith Schwentner (Grüne) und Michael Ehmann (SPÖ) zusammen das Programm der neuen Stadtregierung, das den Titel „Gemeinsam für ein neues Graz“ trägt. Es finden sich darin Punkte, die die Lebensbedingungen der Grazer Arbeiterschaft verbessern, wie der Bau neuer Gemeindewohnungen. Das ist in Graz auch dringend notwendig, da in den vier vorangegangenen Amtsperioden die Bautätigkeit privater Immobilienkonzerne stark unterstützt wurde, was die Spekulation förderte und die Mietpreise in die Höhe schießen ließ. Klare Angaben, wie viele Gemeindewohnungen bis wann gebaut werden sollen, fehlen zurzeit jedoch noch. Mit der Ausweitung der sozialen Unterstützung durch die Vergrößerung des Kautionsfonds und der Sozialcard (deren Bezugskreis ausgeweitet wird) wird dem sozialpolitischen Ansatz der KPÖ Graz Rechnung getragen.

Andere Ansatzpunkte der KPÖ haben allerdings keinen Weg in das Regierungsprogramm gefunden: etwa eine Leerstandsabgabe* für private Immobilien oder die Rekommunalisierung der Holding Graz, die als ausgelagerte Firma u.a. den öffentlichen Verkehr, Wasser, Abfallwirtschaft und Energieversorgung betreibt. Durch die Geschäftsform der GmbH ist die politische Kontrolle kommunaler Leistungen durch den Gemeinderat nicht gegeben. Wir wissen aus Erfahrung, dass solche Firmenkonstruktionen zur Privatisierung von Profit, zu undurchsichtigen, teuren Beratungsverträgen und Vergaben sowie einer Multiplikation von teuren Managerstrukturen führen. Der Profit wird dabei durch die Verschlechterung der erbrachten kommunalen Leistungen von der Allgemeinheit und durch Druck auf die Arbeitsbedingungen durch die Beschäftigten der Betriebe erwirtschaftet.

Während die KPÖ jahrelang den „innerösterreichischen Stabilitätspakt“, der den Gemeinden vorschreibt, ausgeglichen zu bilanzieren, zurecht als Instrument der sozialen Kürzungspolitik kritisiert hat, findet sich im Regierungsprogramm nun stattdessen als Zugeständnis an Grüne und SPÖ ein Bekenntnis zu einem ausgeglichenen Budget.

Dass zentrale politische Forderungen der KPÖ nicht angegangen werden, wird nun damit argumentiert, dass dies außerhalb der Kompetenz von Gemeinden läge und Sache der Bundespolitik sei. In der Praxis könnte dies in Perspektive eine zunehmende Selbstbeschränkung auf Lokalpolitik mit starken Symbolgehalt bedeuten.

Mut zur offenen Konfrontation: Arbeiterbewegung in die Offensive!

Anfang November sagte Robert Krotzer (Gesundheitsstadtrat der KPÖ) in einem Interview:

„Gerade als Marxist sollte man einen klaren Blick auf Kräfteverhältnisse haben. Alles, was im Zusammenleben in dieser und jeder anderen Stadt eine Rolle spielt, hat mit diesen Kräfteverhältnissen zu tun. Das reicht von der Lohnpolitik bis zur Frage, wie Kinderbetreuung organisiert ist. Was in Graz angegangen werden kann, ist ein hoffentlich erfolgreiches soziales Reformmodell. Den Kapitalismus werden wir innerhalb der Stadtgrenzen aber nicht außer Kraft setzen können.“

Soziale und politische Kräfteverhältnisse sind jedoch nichts Unveränderliches, was alleine die Bildung dieser Stadtregierung zeigt. So hat sich die Grazer SPÖ eindeutig für das Reformprojekt ausgesprochen, obwohl die eigene Landesparteiführung heftigen Druck gegen die Unterstützung einer KP-Bürgermeisterin machte. Dies zeigt einen Ansatzpunkt, um die Spaltungslinien zwischen der SPÖ-Basis und der pro-bürgerlichen Führung im Bund und im Land zu vertiefen. Wir sollten nicht den institutionell abgebildeten Status quo als gegeben akzeptieren und uns darauf beschränken, im Landtag „Gespräche zu führen“, wie Genosse Krotzer argumentiert.

Wir sehen (gerade in Graz) momentan große Unzufriedenheit und Kampfbereitschaft in vielen Schichten der Arbeiterklasse: in der Pflege, im Sozialbereich und den Kindergärten. Die KPÖ selbst hat diese Mobilisierungen aktiv unterstützt und teilweise auch angeführt, als es im Oktober und November Demonstrationen der PflegerInnen und der ElementarpädagogInnen gab. Diese Auseinandersetzungen müssen von den Arbeiterparteien mit politischen Zielen und dem Kampf für das eigene Programm – gegen die Interessen der Bürgerlichen – verknüpft werden.

In der SPÖ bedeutet dieser Prozess, dass die Arbeiterbasis der Partei Widerstände der Parteiführung überwinden muss, was in der Situation angelegt ist und in der Praxis bereits stattfindet. Die Unterstützung von sozialdemokratischen PersonalvertreterInnen der KP-Pflegedemo zeigte auf, dass die hemmende Rolle der SPÖ-Spitze nur ein Faktor in der Gleichung ist, der durch die Organisierung von sozialem Protest durchbrochen werden kann.

Es gibt keine „natürliche Schranke“ zwischen Klassenkampf in den Betrieben, Stadtvierteln und im Parlament.

Der KPÖ kommt hier eine zentrale Verantwortung zu, um das Kräfteverhältnis zu verändern. Genug Menschen in den Gewerkschaften, in den Jugendorganisationen und in der Grazer Bevölkerung sind bereit, soziale Auseinandersetzungen zu führen und scheinbar in Stein gemeißelte Schranken, wie es Bundes- oder EU-Vorgaben sind, zu durchbrechen. Allerdings muss man dies auch aktiv anstreben. Dies liegt in der Verantwortung der KPÖ-Spitze.

(Funke Nr. 199/10.12.2021)

*Am 15. Dezember sprach sich die steirische Landesregierung (ÖVP-SPÖ) für eine Leerstands- und Zweitwohnsitzabgabe aus, die im ersten Quartal 2022 in Gesetzestext gegossen werden soll und von Gemeinden freiwillig übernommen werden kann.


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