Die Ursachen der Inflation und wie man ihre Auswirkungen bekämpft, analysieren Nathanael Nussbaumer und Norbert Stern.

 Vor gerade einmal zwei Monaten hielten wir in unserer Zeitung fest, dass der Miniwarenkorb, welcher den Wocheneinkauf einer durchschnittlichen Familie repräsentiert, um 9% teurer wurde. Während wir diesen Artikel veröffentlichten, zeigte eine neueste Auswertung der Statistik Austria jedoch, dass der Wocheneinkauf im Vorjahresvergleich um satte 13,7% teurer geworden war. [1] Und die Preise steigen weiter, allen voran die Strom- und Gaspreise. Betroffen davon sind auch Haushalte, die ihren Strom aus 100% erneuerbaren Energien bekommen. Beim Verbund, welcher 500.000 KundInnen hat und bekannterweise den größten Teil seines Stromes aus Wasserkraft gewinnt, stiegen die Preise um durchschnittlich 77%.

Das führt dazu, dass Haushalte nahezu doppelt so viel für ihren Strom zahlen müssen wie vor einem Jahr, während sich die Gewinne der Energiekonzerne fast verdreifachen. Diejenigen Haushalte, die schon vor der Explosion der Energiepreise ihre Lebenshaltungskosten gerade noch aus ihren Einkommen decken konnten, geraten spätestens mit den Jahresabrechnungen von Strom und Gas an den Rand ihrer Existenzgrundlage. Besser gestellte Haushalte haben zwar noch keine Existenzsorgen, aber zurecht Angst vor sozialem Abstieg. Die Arbeiterkammer geht davon aus, dass das Haushaltseinkommen um 1.400€ pro Jahr steigen müsste, möchte man die steigenden Kosten abfangen und einen Reallohnverlust vermeiden. Dabei unterschätzt diese Prognose mit großer Wahrscheinlichkeit das tatsächliche Ausmaß des Problems.

Eine ähnliche Entwicklung sehen wir in allen europäischen Ländern. Die Bank of England warnt in ihrem letzten Bericht vor einer drohenden Stagflation (ohne das Wort zu benutzen), und die Teuerungsrate stieg in Deutschland (6.9%) im April gesamthaft ähnlich stark wie in Österreich (7.2%). Genau wie in Österreich sind die Waren des täglichen Bedarfs mit ebenfalls knapp 14% besonders stark gestiegen. Dass dieser Anstieg der Inflation in zeitlicher Nähe zur Covid-Pandemie und dem Ukraine-Krieg steht, ist kein Zufall.

Warum Inflation …

Im Zuge der Pandemie kam es weltweit zu Produktionsausfällen und Unterbrechungen von Lieferketten, d.h., es wurden weniger Waren (Werte) produziert und auf dem Markt zum Verkauf angeboten. Die Summe der in Österreich produzierten Waren und Dienstleistung (ausgedrückt im Bruttoinlandsprodukt) schrumpfte etwa im 4. Quartal 2020 um 7,8% (gegenüber dem 4. Quartal 2019). Dieses Problem besteht immer noch, und das nicht nur wegen dem Lockdown in Shanghai.

Gleichzeitig wurde die Nachfrage nach Waren und Dienstleistungen durch staatliche Hilfsprogramme, wie beispielsweise dem Umsatzersatz für Unternehmen und die Zuschüsse zur Kurzarbeit, annähernd konstant gehalten. Die österreichische Staatsverschuldung stieg dadurch im Jahr 2020 um mehr als 35 Mrd. € bzw. rund 13%. Der pandemiebedingte negative Angebotsschock hat also das Angebot von Waren im Verhältnis zur Nachfrage stark sinken lassen.

Die Eskalation des Konflikts zwischen dem Westen und Russland im Zuge des Krieges in der Ukraine hebt diese Entwicklung auf eine neue Stufe, da der Welthandel zu einer strategischen Waffe innerimperialistischer Konfliktaustragung wird. Die Angst vor einem Rückgang von Öl- und Gaslieferungen – und zwar unabhängig davon, welche Kriegspartei dafür verantwortlich ist – hat die Gas- und Strompreise durch die Decke gehen lassen. Ernteausfälle in der Ukraine und die angekündigten Exportkontrollen von Indien und Russland sowie die bestehenden Sanktionen des Westens gegen Dünger aus Belarus führen darüber hinaus zu einem Rückgang im weltweiten Angebot von Grundnahrungsmitteln und Dünger und damit zu einem Anstieg der Lebensmittelpreise. Hinzu kommt, dass der Ukraine-Krieg zusätzliche Nachfrage nach Produkten der Waffen-, Metall- und Elektronikindustrie schafft.

Die Rolle der Notenbanken

Die Politik der Notenbanken des letzten Jahrzehnts ist vornehmlich durch die Folgen der Wirtschaftskrise 2008 geprägt. Durch das Platzen der Immobilienblase in den USA sind vor über 10 Jahren die weltweiten Widersprüche der Überproduktion an die Oberfläche getreten. Um den deflationären Tendenzen der Überproduktionskrise entgegenzuwirken und Investitionen möglichst profitabel zu halten, haben die Notenbanken die Geldschleusen geöffnet. Der Leitzins wurde unter 0% gesetzt und immer größere Ankaufprogramme von Staats- und Unternehmensanleihen wurden beschlossen. Diese Politik war insofern erfolgreich, dass eine drohende Deflation verhindert wurde und zumindest ein moderates Wirtschaftswachstum erzielt werden konnte. Der Lebensstandard der Lohnabhängigen hat sich durch diese Maßnahmen, im Gegensatz zu den Vermögen der Superreichen, allerdings nicht verbessert.

Durch den oben beschriebenen Angebotsschock ändert sich die Lage allerdings dramatisch. Die Inflation bedroht die Preisstabilität essenziell und die Notenbanken sehen sich gezwungen dieser Entwicklung entgegenzuwirken. In den USA wurde der Leitzins bereits erhöht und auch in der Eurozone ist von einer Erhöhung des Leitzinssatzes und einem Ende der Ankaufprogramme auszugehen. Diese Maßnahmen wirken sich allerdings dämpfend auf das Wirtschaftswachstum aus. Steigende Zinsen machen Kredite für Unternehmen teurer und somit Investitionen nicht rentabel. Ebenso wird es für Staaten teurer, neue Schulden aufzunehmen, um Hilfsprogramme zu finanzieren, weswegen eine erneute Rezession droht. Die Notenbanken haben also die Wahl, entweder die Inflation zu bekämpfen oder einen Wirtschaftseinbruch zu verhindern – am Ende werden sie mit beidem scheitern.

… und wie gegen sie kämpfen

Die entscheidende Frage betreffend die Inflation ist allerdings nicht ihre ökonomische Ursache, sondern ihre gesellschaftliche Auswirkung. Der Kapitalismus ist immer noch ein System, das auf der Ausbeutung von Arbeitskraft beruht. Um ihre Profite zu retten, versuchen die KapitalistInnen die Last der Krise auf die Lohnabhängigen abzuwälzen, indem sie die Preise ihrer Waren anheben, die Löhne aber möglichst gering halten. Diese Vorgangsweise führt zu Reallohnverlusten. Aus diesem Grund muss die Arbeiterklasse für ein Programm kämpfen, das die Lohnabhängigen angesichts der grassierenden Inflation vor Verfall und Armut bewahrt.

Um den Kampf erfolgreich zu führen, müssen wir aber verstehen, dass sich die ökonomische Situation grundlegend verändert hat. Die Inflation ist nicht nur hoch, sie ist auch unkontrollierbar und unprognostizierbar geworden. Ein weiterer sprunghafter Anstieg der Inflation ist nicht nur möglich, sondern wahrscheinlich. Diese Tatsache muss in unserem politischen Programm zur Verteidigung des Lebensstandards berücksichtigt werden.

Kein Abschluss unter der Inflationsrate

Um unseren Lebensstandard zu schützen, müssen die Beschäftigten sicherstellen, dass es bei Kollektivvertragshandlungen keinen Lohnabschluss unter der Inflationsrate gibt. Diese wird aller Vorrausicht nach zu Beginn der Kollektivvertragsverhandlungen im Herbst bereits jenseits der 10%-Marke liegen. Um diesen Kampf zu gewinnen, ist es notwendig die gesamte Kraft der ArbeiterInnenbewegung zu mobilisieren. D.h. der Widerstand muss sowohl auf Betriebsebene als auch in allen Gewerkschaftsstrukturen und politischen Vertretungen der Lohnabhängigen organisiert werden.

Breiter Kampf für eine gleitende Lohnskala

Die Entwicklung der Inflation der kommenden Monate und Jahre exakt vorherzusagen, ist unmöglich geworden. Es kann aber davon ausgegangen werden, dass die kommenden Preissteigerungen gewaltige Ausmaße annehmen werden. Die jährlichen Kollektivvertragsverhandlungen kommen dabei oft erst Monate nach einem starken Anstieg der Inflation. Wir kämpfen daher für eine automatische monatliche Erhöhung der Löhne gleichlaufend mit den Preissteigerungen der Konsumgüter. Diese Vereinbarung sollte in der Herbstlohnrunde in Form eines Generalkollektivvertrags für alle Sektoren erkämpft werden.

Preiskontrollen

Die UnternehmerInnen werden versuchen, jede erkämpfte Lohnerhöhung durch Preissteigerungen auszugleichen. Um eine Lohn-Preis-Spirale zu vermeiden, müssen Preiskontrollen durch Delegierte der Gewerkschaften und der Belegschaften auf alle wesentlichen Konsumgüter eingeführt werden.

Kontrolle der Gasverteilung

Durch eine weitere Eskalation des Ukraine-Krieges kann ein gänzlicher oder teilweise Lieferstopp von Erdgas nicht ausgeschlossen werden. In diesem Fall ist die entscheidende Frage, an wen das Gas verteilt wird. Wir dürfen kein Vertrauen in Nehammer und Co. setzen, dass sie sich an ihre Versprechen halten und das Gas tatsächlich an die Haushalte und nicht an die Industrie geliefert wird. Die ArbeiterInnen in der Energieindustrie müssen daher die Kontrolle über die Gasverteilung übernehmen. (Artikel zum Thema)

Die KapitalistInnen und ihre politischen VertreterInnen wie auch die Spitzen von SPÖ und ÖGB werden die Unmöglichkeit dieser Forderungen beteuern. Wir müssen diese Argumente aber kategorisch zurückweisen. Es geht in den kommenden Kämpfen darum, die Lohnabhängigen vor Verfall und Ruin zu bewahren. Wenn der Kapitalismus unfähig ist, diese Forderungen zu erfüllen und die Probleme zu lösen, die er selbst erzeugt hat, dann soll er untergehen! Leo Trotzki schrieb 1938, ein Jahr vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs:

„Die Möglichkeit oder Unmöglichkeit, diese Forderungen zu verwirklichen, ist hierbei eine Frage des Kräfteverhältnisses, die nur durch den Kampf gelöst werden kann. Auf der Grundlage dieses Kampfes werden die Arbeiter – was auch immer seine unmittelbaren praktischen Erfolge sein mögen – am besten die Notwendigkeit begreifen, die kapitalistische Sklaverei zu liquidieren.“

(Funke Nr. 204/31.5.2022)


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