Im Herbst dominierte heuer wieder vor allem ein Thema die Medienöffentlichkeit: Eine neue „Flüchtlingskrise“. Stehen wir vor einer neuen Asylwelle oder ist alles inszeniert? Von Merve Beypinar.

 Seit Anfang Herbst steht die ÖVP mit weiteren Korruptionsvorwürfen im Rampenlicht. So ist es nicht überraschend, dass sie in der Bundesregierung, mit schweigender Zustimmung der Grünen, das Thema über die Unterbringung von Flüchtlingen inszeniert, um vom eigenen Versagen abzulenken. Um das Vorhaben zu unterstützen ist wieder der Kurz-Vertraute Gerald Fleischmann als Kommunikationschef der Bundes-ÖVP mit an Bord. Und so wird in den Medien das Thema der explodierenden Flüchtlingszahlen von außerhalb Europas rauf und runterdiskutiert.

Daher gleich zu Beginn die Zahlen: Seit Jahresbeginn bis Oktober sind nur etwa 230.000 Menschen von außerhalb Europas in die EU gekommen. Das ist zwar ein Anstieg zu den Vorjahren, weil die Einreisebestimmungen in den letzten Jahren durch Corona sehr beschränkt waren und sehr viele Menschen in den Balkanländern und der Türkei auf Möglichkeiten einer Weiterreise warteten. Es macht aber trotzdem etwa nur 1/2000stel der EU-Bevölkerung aus. Zum Vergleich: Alleine die Zahl der aus der Ukraine Geflüchteten in der EU geht in die Millionen.

Seit spätestens Juni ist dem Innenministerium bekannt, dass die Flüchtlingszahlen wieder steigen werden. Demgegenüber wurden die Aufnahmekapazitäten in Österreich bis 2022 stark abgebaut. In Niederösterreich wurden sogar seit Juni unter Landesrat Waldhäusl noch weitere Asylunterkünfte gestrichen. Seit also Anfang Herbst die Flüchtlingszahlen in Österreich gestiegen sind, wird auf dieser Grundlage ein „Notstand“ inszeniert.

Die größte Zahl der Flüchtlinge von außerhalb Europas stellen Personen aus Syrien und Afghanistan, die in den meisten Fällen subsidiären Schutz (Aufenthaltsrecht ohne Asyl) erhalten. Dabei ist die Zahl der minderjährigen unbegleiteten Flüchtlinge sehr hoch. Viele andere wollen eigentlich durch Österreich durchreisen und tun das auch - die erhöhten Zahlen bei Aufgriffen von Personen aus Indien, Pakistan, Marokko sind vor allem den verstärkten Kontrollen der österreichischen Behörden geschuldet. Dieser Faktor ist klar ersichtlich an den Zahlen der Grundversorgung: Die Asylanträge sind zwar stark angestiegen, aber die Zahlen in der Grundversorgung von Asylwerbern sind kaum gestiegen.

In den letzten Wochen waren die „Asylzelte“ in mehreren Gemeinden in Österreichs im Fokus, wo Flüchtlinge menschenunwürdig untergebracht wurden. In St. Georgen im Attergau gab es am 26.10.2022 eine Protestkundgebung gegen die aufgestellten Zelte im Erstaufnahmezentrum in Thalham, bei der 1.000 Teilnehmer zu verzeichnen waren: Aufgerufen hatten alle Gemeinderatsparteien (ÖVP, FPÖ, Grüne, SPÖ), die Proteste selbst wurden dann von angereisten Rechtsextremen mit Slogans wie „Remigration jetzt“ und „unser Volk zuerst“ dominiert. Mittlerweile sind alle Zelte in Österreich abgebaut und Container als Asylunterkünfte sollen diese ablösen.

Es handelt sich insgesamt um etwa 5.000 Plätze in der Grundversorgung, die laut Konferenz der Flüchtlingsreferenten der Länder zur Verfügung gestellt werden sollen. Obwohl die Zuständigkeiten zwischen Bund und Land klar sind und es eine Quotenvereinbarung gibt, wird künstlich eine Unterbringungskrise geschaffen. Die Hälfte der Grundversorgten sind privat untergebracht und bekommen keine ausreichende finanzielle Unterstützung. Klar ist, dass wir keine neue Flüchtlingskrise haben, sondern die politische Inszenierung eines Unterbringungsproblems. Lösungen für die selbst geschaffenen Probleme gibt es viele, es mangelt allerdings am Willen der Regierungen.

Das ist kein Zufall. Die rassistische Spaltung ist das wichtigste Mittel der Bürgerlichen insgesamt (nicht nur der ÖVP), um für die sozialen Verschlechterungen einen Sündenbock zu haben. Wir leben in Zeiten der höchsten Inflationsrate seit mehreren Jahrzehnten. Die Preiserhöhungen bei den Grundbedürfnissen wie Heizen, Wohnraum, Energie und Essen sind für die Arbeiterklasse massiv zu spüren. Die Zahl der Menschen an der Armutsgrenze ist enorm gestiegen. Die Kollektivvertragsabschlüsse haben meist zu einem Reallohnverlust geführt. Die Arbeiterklasse ist der größte Verlierer dieser Krise.

Anstatt das alles aufzudecken, rückt die Führung der SPÖ den Positionen der Bürgerlichen nach und betreibt dieselbe billige Demagogie. Im Sommer sprach Rendi-Wagner davon, dass sie keine Flüchtlingskrise sieht. Jetzt spricht sie über die Verschärfung der Kontrollen an den EU-Außengrenzen und übernimmt die Linie von Doskozil. Sie kritisiert die ÖVP, indem sie ihr vorwirft, keine Rücknahmeabkommen mit anderen europäischen Ländern zu schließen.

Die SPÖ-Führung unterwirft sich auch in der Flüchtlingsfrage ganz der bürgerlichen Logik. Die Arbeiterbewegung braucht stattdessen eine Führung und ein Programm, die das Kapital angreifen, anstatt vor dem entsolidarisierenden Zirkus zu kapitulieren.

(Funke Nr. 209/6.12.2022)


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