Die Große Koalition ist am Ende, am 28. September finden Neuwahlen statt. Noch-Kanzler Gusenbauer ist frei für einen gut besoldeten Managerposten. Und die ArbeiterInnenbewegung steht vor einem Scherbenhaufen, den sie Gusenbauer, Faymann und Hundstorfer zu verdanken hat.

Alles deutete längst auf einen Koalitionsbruch hin. Die bürgerlichen Medien machten aus ihren Wünschen keine Mördergrube mehr und plädierten offen für Neuwahlen. Die ÖVP-Spitze war von Anfang an angetreten, diese Koalition in erster Linie zur nachhaltigen Schwächung der Sozialdemokratie zu nutzen. Wir haben vom ersten Tag an die These aufgestellt, dass die Schwarzen nur auf den geeigneten Zeitpunkt warten, um die Koalition wieder aufzukündigen. In den Monaten seither hat die ÖVP mit beträchtlicher Zuarbeit durch Gusenbauer und seine Clique erfolgreich dieses Projekt umgesetzt. Noch nie zuvor stand die organisierte ArbeiterInnenbewegung so nackt und hilflos da wie heute. Aus der Sicht der Bürgerlichen ein sturmreife Burg, die zu keiner Verteidigung mehr imstande ist.

Und genau das haben Schüssel, Molterer & Co. nach ihrer Wahlniederlage im Herbst 2006 anzustreben versucht. Nach Jahren der Bürgerblockregierung wurden damals an der Wahlurne plötzlich die Kräftegleichgewichte verschoben. Diese „Fehlleistung des Wählers“ galt es in sein Gegenteil zu verkehren, und dazu bedurfte es das Zwischenspiel einer Großen Koalition, mit dem die SPÖ entzaubert werden sollte. Gusenbauer und seine Truppe machten es den Bürgerlichen sehr leicht bei der Erreichung dieser Strategie und schenkten dem Gegner alle Joker. So nebenbei sei nur angemerkt, dass Werner Faymann als Verkehrsminister, der jetzt als die standfeste Alternative zum am Umfaller-Syndrom leidenden Gusenbauer gepriesen wird, jeden einzelnen „Umfaller“ politisch unterstützt hat und lange Zeit als der einzige Garant für eine enge Zusammenarbeit mit der ÖVP galt.

Molterer wollte nicht mehr länger zusehen. Der Versuch Faymanns, mit seiner Anbiederung an die EU-kritische Stimmung in weiten Teilen der Bevölkerung und an die Kronen-Zeitung Boden gut zu machen, war der lang ersehnte Anlass. Immerhin stellte die SPÖ hier das zentrale Projekt der Bürgerlichen, die EU-Integration, in Frage, was aus der Sicht des Kapitals einer Art Sündenfall gleichkam. Vor dem 7. Juli hat die Krise der SPÖ ihren Höhepunkt erreicht. Der perfekte Zeitpunkt für ÖVP-Spitze die Koalition aufzukündigen.

Aus all diesen Gründen musste Molterer genau jetzt die Notbremse ziehen. Mit der Meldung, er sei für Neuwahlen, hat er versucht die Zügel in die Hand zu nehmen, Richtung und Tempo vorzugeben, sich als starke Führungspersönlichkeit zu präsentieren, die zukünftig für Stabilität sorgen kann.

Die SPÖ

Die SPÖ reagierte prompt und wie es zu erwarten war. Gusenbauer hat das Handtuch geworfen und wird nicht mehr als Spitzenkandidat der SPÖ in Neuwahlen ziehen. War er einst als Kanzler angetreten, um seinem Idol Kreisky nachzueifern und ein zweiter „Sonnenkönig“ zu werden, dürfte es bestenfalls bei einer matten Kopie des „Winterkönigs“ bleiben, auch wenn er ein paar Monate mehr im Amt überlebte als einst Friedrich V., dem dieser Beiname im 30jährigen Krieg verliehen wurde. Ihm wird in der ArbeiterInnenbewegung keiner eine Träne nachweinen, mit Ausnahme seiner treuherzigen Mama vielleicht. Um seine Zukunft werden sich die GenossInnen keine Sorgen machen müssen. Immerhin hat Gusi schon einen persönlichen Zukunftsberater, der ihm lukrative Jobangebote checken soll. Namhafte internationale Konzerne dürften bereits auf der Liste stehen, wo er garantiert in den Fußstapfen seines Vorgängers Viktor Klima prächtig Kohle machen wird dürfen. Damit können wir das traurige Kapitel Alfred Gusenbauer wohl endgültig schließen.

Die engere Parteispitze setzt nun alle Karten auf Werner Faymann. Dass von ihm kein wirklich anderer Kurs zu erwarten ist, haben wir bereits an anderer Stelle ausgeführt. Welchen Grund sollte es geben, ihm Vorschusslorbeeren zu gewähren? Er gehört zum engsten Kreis jener, die für das jetzige Desaster der ArbeiterInnenbewegung zur Verantwortung zu ziehen wären. Ein wenig Populismus (EU-Debatte!) zur Aufmunitionierung der SPÖ-Wahlkampfmaschinerie, mehr ist von ihm nicht zu erwarten. Sollte Faymann gegen jegliche politische Logik in die Lage versetzt werden, nach den Neuwahlen eine Regierung bilden zu können, dann würde er mit Garantie den bisherigen Kurs der Unterwerfung der ArbeiterInnenbewegung unter die Bürgerlichen fortsetzen.

Drohender Rechtsruck in der SPÖ

Da eine arge Wahlschlappe der SPÖ wohl kaum abzuwenden ist, wird sich Faymann aber voll und ganz auf die Partei selbst konzentrieren können. Und dort wird er wohl klar Schiff machen. Unter seiner Führung werden Linke und Betriebsräte wohl noch weniger Luft zum Atmen haben. Das Deckmäntelchen der „nötigen Modernisierung“ als einzige zukunftsweisende Perspektive nach der Wahlschlappe wird Faymanns wahre Intentionen schmücken. Wir sollten nicht überrascht sein, wenn die SPÖ unter Faymann auch in der Opposition noch weiter nach rechts gehen wird, mit dem Ziel die SPÖ ihrer organischen Wurzeln in der ArbeiterInnenbewegung zu entledigen. Denn darin liegt für die rechtssozialdemokratische Spitze der einzige Weg sich in Zukunft für die Bürgerlichen wieder als verlässlicher Partner präsentieren zu können. Wenn politische Beobachter nun in diesem oder jenem politischen Schachzug die Ursache für das Scheitern der Großen Koalition sehen, in Wirklichkeit liegt die Ursache tiefer. Die Reformen, die das Kapital von dieser Regierung in ihrer ganzen Bandbreite erwartete, waren gegen die Interessen der in der SPÖ organisierten gesellschaftlichen Sektoren nicht durchsetzbar – und dies obwohl die Gewerkschaftsspitze windelweich wie immer agierte. Die Logik der Parteiführung könnte sehr bald schon darin bestehen, diese Wurzeln abzutrennen und sich in eine sozial-demokratische Partei ohne organische Verbindung zur organisierten Klasse zu wandeln. Dass ein solches Projekt gelingen kann sieht man etwa in Italien mit der Gründung der Demokratischen Partei.

Die Bürgerlichen werden alles unternehmen, um möglichst lange nicht mehr auf die SPÖ angewiesen zu sein. Wie Michael Fleischhacker von der „Presse“ zu Recht die Monty Pythons zur Beschreibung des Zustands des Konzepts „Große Koalition“ heranzog: „Dieser Vogel ist tot“.
Spätestens am Tag nach der Neuwahl, wenn die ersten Wunden geleckt sind, wird ein Kampf um die Zukunft und den Charakter der Sozialdemokratie beginnen. Und alle Kräfte, die eine linke Sozialdemokratie als Sprachrohr und Werkzeug der ArbeiterInnenbewegung wollen, werden aktiv gegen die rechten Modernisierungspläne von Faymann & Co. ankämpfen müssen.

Selbstaufgabe der SPÖ

Doch kehren wir von der wohl nicht so nahen Zukunft zurück in die Gegenwart. Aus dem SPÖ-Klub kam nach der Meldung, dass die ÖVP die Koalition aufkündigt, noch der Vorschlag, dass jetzt die Zeit sei, um im Parlament doch noch durch eigene Gesetzesinitiativen eine „sozialdemokratische Handschrift“ zu zeigen. So wollte Josef Broukal doch noch den Antrag zur Abschaffung der Studiengebühren zur Abstimmung bringen. Minister Buchinger die Hacklerregelung verlängern lassen. Doch Werner Faymann hat diese Versuche schon abgedreht. Seine Worte: „Es soll kein gegenseitiges Überstimmen geben. Wir halten uns an den Koalitionspakt“. „Der Anstand solle gewahrt werden“, sprang im Gabi Burgstaller sofort zur Seite. Wenn das keine klaren Zeichen sind?!

SP-Wissenschaftssprecher Broukal zog bereits die Konsequenzen und trat zurück. Im Standard wird er folgendermaßen zitiert: „Ich habe nicht vor, in dieser Woche von der Klubführung zum dritten Mal in einem Jahr gezwungen zu werden, gegen meinen eigenen Antrag auf Abschaffung der Studiengebühren zu stimmen". Hätte es SPÖ-Abgeordnete gegeben, denen die Interessen der Lohnabhängigen und der Jugend wichtiger sind als die Angst von der eigenen Parteiführung gemaßregelt zu werden, dann hätten sie bei der nächsten Nationalratssitzung solche Anträge stellen bzw. im Parlament bereits liegende Anträge zur Abstimmung bringen müssen (z.B. Studiengebühren).

Mit dieser Absage an die Idee über eigenständige Gesetzesinitiativen und ein freies Spiel der Kräfte im Nationalrat einen wirklichen Unterschied zwischen der Sozialdemokratie und den bürgerlichen Parteien herauszuarbeiten, nehmen Faymann & Co. der ArbeiterInnenbewegung bewusst die derzeit einzige kurzfristige Möglichkeit die Kräfteverhältnisse wieder nach links zu verschieben. Diese Parteispitze hat sich auf Biegen und Brechen den Wünschen der Bürgerlichen verschrieben und legt den letzten Trumpf ungenützt auf den Tisch. Wir dürfen annehmen, dass dies nicht aufgrund politischer Senilität erfolgt, sondern auf Grundlage der Perspektive, dass man sich bewusst nicht wieder dem Druck der ArbeiterInnenbewegung aussetzen, ja von dieser klar distanzieren will. Nicht umsonst nennt Faymann Gerhard Schröder, der die SPD zur Spaltung führte, allein um das Programm der deutschen Bourgeoisie umzusetzen, als Vorbild. Wer Illusionen in diese Parteispitze schürt, der fügt der organisierten ArbeiterInnenbewegung gewaltigen Schaden zu.

Die SJÖ hat umgehend auf die Neuwahlankündigung reagiert und ihre Kampagne für eine Minderheitsregierung neu gestartet. Diese Losung konnte nach den Wahlen 2006 eine wichtige Perspektive darstellen für alle jene, die eine linke Wende wollten. Sie hatte zu einem gewissen Grad eine materielle Basis und konnte deshalb Zugkraft entwickeln. Heute ist sie leider von der Geschichte bereits überholt und wird im Nichts verpuffen.

Reorganisierung der Linken

Linke SozialistInnen müssen sich jetzt im Klaren sein, dass eine linke Wende nur gegen und an dieser Parteispitze vorbei möglich ist. Und das wird nur über harte Konflikte in den Reihen der Sozialdemokratie und den Gewerkschaften gehen. Linke in der SPÖ und dem ÖGB haben dazu aber keine Alternative. Die in den letzten Tagen vom Standard ein wenig mit medialer Öffentlichkeit ausgestatteten Versuche eine österreichische Linkspartei ins Leben zu rufen („Der Linke Ratschlag“ am 5. Juli) haben in Wirklichkeit die Ratlosigkeit dieser linken Gruppen und Einzelpersonen, die diesen Prozess herbeiträumen wollen, offen zur Schau gestellt. Außerhalb der Sozialdemokratie gibt es für Linke, die nach einer ernsthaften Perspektive Ausschau halten, nichts. Das kann man traurig finden oder nicht, aber es ist die Wahrheit. Diese „Linke“ hat de facto keinerlei Verankerung in der ArbeiterInnenklasse und an ihrer Spitze tummeln sich Kräfte, die der Idee einer Linkspartei nur Schaden zufügen können.

Die Reorganisierung der ArbeiterInnenbewegung wird in den Strukturen der Sozialdemokratie und sozialdemokratisch dominierter Betriebs- und Gewerkschaftsstrukturen passieren. Diese Auseinandersetzung wird hart werden und sich aus heutiger Sicht über eine längere Periode hinwegstrecken.

Achtung: Angriffe von rechts

Der Spuk „Große Koalition“ ist zu Ende. Der nächste folgt zugleich. Die ÖVP wird jetzt voll in die Offensive gehen. Sie hat leichtes Spiel. Sie wird sich als „Hort der Stabilität“ präsentieren, als Garant dafür, dass Österreich wieder regierbar wird. Auch wenn das aufgrund der Zusammensetzung der Landschaft bürgerlicher Parteien und interner Differenzen nicht einfach wird. Für einen Wahlsieg und eine neuerliche rechtskonservative Wende wird es angesichts der Krise der SPÖ trotzdem reichen. Und dann heißt es warm anziehen. Die ÖVP hat schon in den letzten Wochen keinen Hehl daraus gemacht, wofür sie steht: Pensionsautomatik, Gesundheitsreform, strammer EU-Kurs, eine neue „eiserne Lady“ im Innenministerium, die den harten Kurs der EU in Sachen Abschiebungen und "Grenzen dicht!" mit einem Lächeln auf den Lippen umsetzen wird, Privatisierung der ÖBB, Steuerreform für die Reichen.

Die Bürgerlichen mussten in Wirklichkeit seit 2003 abwarten und relativ schaumgebremst agieren, immer mit einem Aug auf die ArbeiterInnenbewegung gerichtet. Jetzt wird der rechte Kurs wieder in vollen Zügen in Angriff genommen. Und das unter Bedingungen, wo die ArbeiterInnenklasse ohnedies schon am Anschlag ist. Die Teuerungswelle bei Lebensmitteln, Sprit, Mieten geht vielen bereits an die Substanz. Von Entlastung wird außer vielleicht ein paar Almosen nichts übrig bleiben. Die künftige Regierung wird eine Politik der Blut und Tränen für die lohnabhängige Bevölkerung bringen.

Die politische Ebene ist der ArbeiterInnenbewegung ab sofort - ähnlich wie nach dem Jahr 2000 - wieder versperrt. Umso wichtiger wird nun der ökonomische Kampf werden. Die Hoffnung der Gewerkschaftsspitze über die Steuerreform eine Umverteilung von oben nach unten und eine spürbare Entlastung der Lohnabhängigen zu erreichen, wird sich bald schon in Rauch auflösen. Der einzige Weg, der uns bleibt, wird die Ebene der Lohnverhandlungen sein. Die kommende KV-Runde wird von größter politischer Bedeutung für die breite Masse der Lohnabhängigen und ihrer Familien. Dort muss das deklarierte Ziel ein satter Reallohnzuwachs sein. Ohne Kampf wird das aber nicht gehen. Die Gewerkschaftsbewegung dahingehend kampffähig zu machen, ist eines der Hauptziele der nächsten Zeit.

Raus aus der Sackgasse

Gusenbauer, Faymann & Co. haben uns in eine Sackgasse manövriert, in der uns die Bürgerlichen das letzte Hemd ausziehen wollen. Je größer der Wahlsieg der Rechten bei den bevorstehenden Neuwahlen wird desto schlimmer werden die Angriffe werden. Viele in SPÖ, SJ und Gewerkschaft haben in den letzten Monaten frustriert den Kopf gesenkt und versuchten durchzutauchen. Mit einer Vogel Strauß-Strategie werden die künftigen Kämpfe aber nicht zu gewinnen sein. Es geht jetzt um die Verteidigung unseres Lebensstandards und aller noch verbliebenen sozialen Errungenschaften der Vergangenheit. Die Frage, die sich stellt: Wie können wir die ArbeiterInnenbewegung wieder kampffähig machen? Und zwar schnell!

Dazu braucht es eine Perspektive, ein Programm und eine Methode. Werner Faymann oder sonst jemand aus der sozialdemokratischen Parteispitze kann diese aus der Sicht der ArbeiterInnenbewegung nicht bieten. Niemand wird uns das Denken und aktive Handeln in dieser Situation abnehmen. Die Zeit muss genutzt werden für die Sammlung all jener Kräfte, die den Ernst der Lage erkannt haben und eine linke Antwort geben wollen. Diese Kräfte gilt es in den kommenden Wochen und Monaten zu vernetzen, zusammenzuführen, damit die notwendigen Diskussionen über Perspektiven, Programm und Methoden geführt werden können.

Die ArbeiterInnenbewegung hat in den letzten beiden Jahren schwere Lasten zu schleppen gehabt, die ihr kaum Kraft für eigene Aktivität gelassen haben: eine in Form der Großen Koalition, die jetzt endlich von uns abgefallen ist; die zweite in Form der bürgerlichen Führung an der Spitze unserer eigenen Organisationen. Diese gilt es nun ebenfalls los zu werden. Kein Vertrauen in all jene, die uns in die Sackgasse manövriert haben, sondern Vertrauen nur in die eigene Stärke. Den Schlüssel haben nun alle jene BetriebsrätInnen, GewerkschafterInnen, AktivistInnen aus Ortsparteien, der SJ in der Hand, die längst verstanden haben, dass uns die Zusammenarbeit mit den Bürgerlichen in Form von Großer Koalition und Sozialpartnerschaft keinen Schritt weiterbringt und dass es eine politische Alternative braucht. Sie müssen daran mitwirken, dass die Krise der ArbeiterInnenbewegung bald ein Ende hat.

An der Wahlurne gilt es die Bürgerlichen nicht zu stark werden zu lassen – was angesichts der Ausgangsbedingungen eine titanische Aufgabe darstellt. Doch dann beginnt erst die richtige Arbeit. Wir haben die Aufgabe im Wahlkampf und nach den Wahlen den Widerstand gegen die bürgerliche Gegenoffensive zu organisieren – von unten in den Betrieben, den Unis, Schulen, der SPÖ und den Gewerkschaften.

Gernot Trausmuth, Funke-Redaktion


Zum Nachlesen und Nachdenken:
Österreich-Perspektiven 2007: Perspektiven für die ArbeiterInnenbewegung unter der Großen Koalition

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