Die Identitären sind im öffentlichen Raum stärker präsent als je zuvor. Auf ihre Demos kommen hunderte Leute. Woher kommen sie? Für was stehen sie? Sind sie ein Massenphänomen oder eine Eintagsfliege? Was kann man gegen sie tun? Diesen Fragen geht Mario Wassilikos nach.
Sie tragen gelb-schwarze Λ-Fahnen. Auf ihren Transparenten steht: „Es ist Dein Land. Wehr Dich!“, „Zukunft für Syrien. Grenzen für Europa“, „No Way. You will not make Europe your Home“, „Stoppt den Austausch!” Sie brüllen: „Heimat, Freiheit, Tradition! Multikulti Endstation!” oder: „Festung Europa – macht die Grenzen dicht!” Sie kämpfen gegen „Islamisierung“ und „Masseneinwanderung“. Sie verteilen Flugblätter an durch Krieg, Gewalt und Verfolgung traumatisierte Flüchtlinge, in denen diese aufgefordert werden, in ihre Ursprungsländer zurückzukehren und diese aufzubauen. Sie bezeichnen sich selbst als „aktive, patriotische Bewegung“ der „Jugend ohne Migrationshintergrund“. Ihre Eigendefinition: „0% Rassismus, 100% identitär.“
Gelb-schwarze Hipster mit braunen Flecken
Die Identitären nahmen ihren Ausgang in Frankreich, wo sich nach dem Verbot der neonazistischen Unité radicale 2002 die Gruppe Jeunesses identitaires gründete. Daraus ging ein Jahr später der Bloc identitaire unter dem ehemaligen Front-National-Kader Fabrice Robert hervor. Im Oktober 2012 trat die mittlerweile in Génération identitaire umbenannte Gruppierung mit der Besetzung der noch in Bau befindlichen Moschee in Portiers in eine größere Öffentlichkeit. Als Symbol übernahmen die Identitären das Λ, von dem manche seit dem bluttriefenden Fantasyfilm „300“ glauben, dass es die Schilde der heldenhaften Spartaner zierte – laut der rechtsextremen Zeitschrift „Zuerst!“ ein „Hinweis auf eine kämpferische Grundhaltung“ dieser Bewegung. Dafür spricht auch eine (zuerst französische) „Kriegserklärung“ an das liberaldemokratische System, an die „68er“ und die behauptete Hegemonie der Linken, welche damals im Internet veröffentlicht wurde. Im November 2012 nahmen rund 500 Rechtsextreme und NeofaschistInnen aus fast ganz Europa am identitären Konvent in Orange teil, darunter Mario Borghezio (Lega Nord), der ein Jahr zuvor mit seiner Zustimmung zu den „Ideen“ des rechtsextremen Massenmörders Anders B. Breivik für einen Skandal gesorgt hatte. Tatsächlich treffen sich die Identitären mit Breivik in der wahnhaften Vorstellung einer systematischen feindlichen Übernahme Europas durch den Islam, die sie als letzte Generation noch aufhalten könnten.
Auch in Österreich stand maßgeblich behördlicher Druck am Anfang der Identitären, die sich nach der Zerschlagung der neonazistischen (virtuellen) Alpen-Donau-Gruppe um Gottfried Küssel etablierten. So bewegte sich Martin Sellner, Obmann der Wiener Landesgruppe der Identitären Bewegung Österreich (IBÖ), im Umfeld des berüchtigten Neonazis. Doch wird die Herkunft mancher IBÖ-Kader aus dem organisierten Neonazismus gar nicht geleugnet, sondern vielmehr als „Irrweg“ abgetan. Neben ehemaligen Nazi-Cliquen kommen Identitäre auch aus dem deutsch-völkischen Studentenverbindungsmilieu, was sich in ihrem ausgeprägt männerbündischen Charakter und geringem Frauenanteil widerspiegelt. So ist Alexander Markovics, Obmann der IBÖ, Mitglied der Burschenschaft Olympia, die dafür bekannt ist, GeschichtsrevisionistInnen, Alt- und Neonazis bei ihren Veranstaltungen ein Forum zu bieten.
Vor der Gründung eines gemeinsamen Vereins der österreichischen Identitären im März 2013 gab es zwei Gruppierungen, Wiens Identitäre Richtung und die IBÖ. Sie erregten erstmals mediales Interesse, als sie mit Schweine- und Geistermasken eine Caritas-Veranstaltung im September 2012 in Wien störten, wo sie zu Hard Bass (elektronischer Musikstil) tanzten. Im November 2012 folgte dann die kurzfristige, aber medienwirksame Besetzung des Asylwerberlagers vor der Wiener Votivkirche. Es folgten weitere Aktionen im öffentlichen Raum. Als Agitationsformen sind unkonventionelle Auftritte angesagt, ein „frecher, offener Aktivismus“, verbunden mit „Schock-Aktionen“. Dabei nützen sie bekannte Elemente der Popkultur: Flashmobs, Harlem Shake, Guy-Fawkes-Masken, Filmzitate aus 300 oder Avatar. Eifrige Web-Aktivitäten (z. B. V-Logs) und ein professioneller Facebook-Auftritt gehören ebenso dazu. Alles für ihre wichtigste Zielgruppe – Jugendliche, vor allem aus dem bürgerlich-akademischen Milieu. Man distanziert sich daher offiziell von schlägernden Nazi-Skins und anderen „Prolos“, man gibt sich intellektuell, man liest Heidegger oder Nietzsche und strebt die ideologische Oberhoheit im geistig-kulturellen Überbau der Gesellschaft an.
Ideologisch speisen sich die Identitären aus der Neuen Rechten, einer modernisierten Form des Rechtsextremismus. Diese wurde für das Überleben der extremen Rechten Europas notwendig, da nach NS-Terror und Holocaust ein offener biologistischer Rassismus politisch untragbar wurde. Zentrales Element der Neuen Rechten ist der Ethnopluralismus. Er geht von einem wissenschaftlich nicht haltbaren Konzept unvermischter Völker aus, die ihre „alte, traditionelle“ Kultur durch Abschottung bewahren müssten, sich „ungestört“ und „natürlich“ entfalten sollten, da ein „Eindringen“ anderer Kulturen zu Konflikten, ja sogar zu ihrem „Untergang“ führen könnte. Legitimiert wird das anhand historischer Beispiele. Großes Vorbild ist dabei die Reconquista, die Vertreibung der MuslimInnen aus Spanien während Mittelalter und Früher Neuzeit. Unverblümt rufen die Identitären immer wieder zu dieser auf, um die „Islamisierung“ Österreichs und Europas aufzuhalten, um den „Austausch“ – das „Eindringen“ anderer Kulturen – zu verhindern. Daneben kämpfen sie gegen weitere Feindbilder, die dem klassisch-(neu)rechten Dunstkreis entnommen sind: „Multikulti“, „Gutmenschen“, EU, „amerikanischer Kulturimperialismus“, Political Correctness, „Gleichmacherei und Gender-Terror“, „manischer Antifaschismus“. Dabei betont ihr Obmann Markovics: „Antisemitismus, Faschismus und Nationalsozialismus lehnen wir ab.“ Angesichts der Tatsache, dass man einen historischen Prozess (Reconquista) gutheißt, der mit Judenvertreibungen verbunden war, offen zur ethnischen Säuberung Europas aufruft und eine „organische österreichische Demokratie“ – offensichtlich eine Anknüpfung an die NS-Volksgemeinschaftsideologie – einfordert, ist das eine reine Schutzbehauptung. So ist es auch nicht verwunderlich, dass sich auf ihren Facebook-Seiten Neonazis wie der verurteilte Franz Radl oder Werner Königshofer als Fans outen. Auch Robert Faller, Führerfigur der aufgelösten Nationalen Volkspartei und wegen NS-Wiederbetätigung bedingt verurteilt, und sein ehemaliger Parteikollege Christian Hayer zählen dazu.
Die Identitären – ein Massenphänomen?
Für das letzte Jahr ist eine massive Zunahme identitärer Aktionen im öffentlichen Raum festzustellen. In der letzten aufsehenerregenden Aktion stellten sie am 21. 12. in der Wiener Mariahilferstraße eine IS-Enthauptung von FlüchtlingshelferInnen nach. In den Monaten zuvor riefen sie immer wieder zu „patriotischen Stammtischen“ zum „Schutz“ der Heimat auf. Mittlerweile haben sie in fast allen österreichischen Bundesländern Landesgruppen. Zu ihrer bisher größten Kundgebung konnten sie am 15. 11. im steirischen Spielfeld, wo eines der größten Flüchtlingssammellager ist, etwa 800 Leute mobilisieren. Im Bürgerforum vom 24. 11. bot ihnen der ORF sogar eine Fernsehbühne. Die FB-Seite der IBÖ hat über 17.000 Likes. Trotz alledem ist klar zu sagen, dass die Identitären keine Massenbewegung sind und es mit Sicherheit auch nicht werden. Sie dürften nicht mehr als 150 bis 200 AktivistInnen österreichweit haben. Auf ihren Veranstaltungsfotos sind immer wieder dieselben Gesichter zu sehen. Hin und wieder fällt ein Neuzugang auf. Ihr Auftreten ist zu abgehoben, zu elitär, um die Massen ansprechen zu können. Bezeichnend dafür sind Ausschnitte in einer ORF-Reportage über Spielfeld, in der zu sehen ist, wie identitäre Demoordner „besorgten Bürgern“ den Mund verbieten, um nichts Falsches zu sagen, worüber diese sich dann vor laufender Kamera fürchterlich aufregen. Auch ihre „philosophischen“ Reflexionen über Denker der Konservativen Revolution (z. B. Carl Schmitt, Oswald Spengler) oder über die „Bewahrung der kulturellen Identität“ können nicht an die Alltagsprobleme der Massen anknüpfen. Wenn sie sich dann einmal auf sozialdemagogische Art an die „kleinen Leute“ wenden, wirken die schnöseligen Polo-Hemd-Rechten fehl am Platz. Die FPÖ beherrscht mit ihrer volksnahen Inszenierung dieses Feld viel besser. So nahmen an der Identitären-Demo am 28. 11. in Spielfeld nur mehr etwa 450 Leute teil, fast um die Hälfte weniger als am 15. 11. In diesem Zusammenhang fällt auf, dass ihre Aktionen immer wieder tatkräftig von FaschistInnen und Rechtsextremen aus Deutschland, Frankreich, Slowenien, Schweiz, Ungarn, Tschechien oder Italien unterstützt werden, was die teilweisen hohen TeilnehmerInnenzahlen ihrer Demos erklärt. Bekannte Neonazis aus Österreich wie die Gruppe Unsterblich Wien marschieren ebenfalls regelmäßig mit der IBÖ mit. Ein Höhepunkt dieser Kooperation war der gewalttätige Angriff auf die antifaschistische Kundgebung gegen die identitäre Demo in Spielfeld am 15. 11., bei der Identitäre Seite an Seite mit Nazischlägern aus dem In- und Ausland mit brachialer Gewalt auf friedliche AntifaschistInnen einprügelten. So viel zu ihrer propagierten „Gewaltlosigkeit“ und „Distanzierung“ von rechten Straßenkämpfern.
Zwar ist die IBÖ alles andere als ein Massenphänomen, jedoch fungiert sie als Netzwerk- und Brückenbewegung zwischen bürgerlichem Rechtskonservativismus (Wiener Akademikerbund, Junge Europäische Studenteninitiative, K. Ö. L. Josephina), europäischem Neofaschismus (z. B. Casa Pound aus Italien), österreichischen Neonazis und dem deutschnationalen Lager Österreichs (FPÖ, deutsch-völkische Studentenkorporationen). Dabei versucht sie, alle europäischen „patriotischen Kräfte“ zum Kampf um die „Festung Europa“ zu mobilisieren. Auffallend ist die Integration der Identitären in das freiheitliche Milieu. So gibt es eine intensive Kooperation zwischen der IBÖ und dem RFJ Burgenland. Der Freiheitliche Akademikerverband lädt sie zu Vorträgen ein. Identitäre kandidieren immer wieder für die FPÖ, z. B. Bernadette Conrads bei der letzten Wien-Wahl. Sie sind bzw. waren FPÖ-Mandatare wie Luca Kerbl im Gemeinderat im steirischen Fohnsdorf. FPÖ-Publikationen berichten wohlwollend über sie. Freiheitliche PolitikerInnen wie der Grazer Stadtrat Mario Eustacchio besuchen IBÖ-Veranstaltungen. Es gibt sogar ein Foto, dass HC Strache fröhlich grinsend mit führenden Identitären in einer Burschenschaftsbude zeigt. Sie sind mit deutsch-völkischen Studentenkorporationen, die in der FPÖ den Ton angeben, bestens vernetzt. So stellt die Burschenschaft Arminia Czernowitz ihre Infrastruktur der IBÖ-Oberösterreich zur Verfügung. Es gibt personelle Überschneidungen zwischen Burschenschaftern und Identitären: Neben dem Olympen Markovics ist ein führender Aktivist der IBÖ-Steiermark Alter Herr der Cheruskia Graz. All das unterscheidet die Identitären von anderen bekannten rechtsextremen Gruppen in Österreich. Diese treten oft als parteipolitische Konkurrenz zur FPÖ auf, z. B. PEGIDA-Österreich, Partei des Volkes, Nationale Partei Österreich. Damit ist ihr Verbleib in der politischen Bedeutungslosigkeit schon vorprogrammiert, da die FPÖ die Themenfelder dieser Gruppen professioneller und glaubwürdiger vertritt. Es existiert also schon eine starke, etablierte rechtsextreme Kraft in Österreich, die sich geschickt als volksnah inszeniert.
Aufgrund der Allianz der Identitären mit dieser Kraft, und da besonders ihre Kooperationen und personellen Überschneidungen mit dem deutsch-völkischen Korporationsmilieu, ist es möglich, dass sie eines Tages Schlüsselpositionen bzw. Führungsrollen innerhalb der Freiheitlichen übernehmen und dann dort lernen, wie man sich volksnaher inszeniert. Daher ist der Kampf gegen die Identitären auf das Engste mit dem Kampf gegen die FPÖ, ja mit dem Kampf gegen den Rechtsextremismus im Allgemeinen verbunden. Dieser befindet sich in Österreich gerade im Aufwind, was man vor allem an den freiheitlichen Wahlerfolgen sehen kann. Die bürgerliche Krisenbewältigungspolitik der Sozialdemokratie zu Lasten der Lohnabhängigen, das Einknicken der Gewerkschaftsführungen gegenüber den Forderungen des Kapitals, das Fehlen einer starken Linken, die bereit ist, mit dem System zu brechen, haben innerhalb der zu Recht unzufriedenen Massen ein Vakuum hinterlassen. Dieses wird von den Rechtsextremen mit ihrer sozialdemagogischen Sündenbockideologie, die MigrantInnen, Flüchtlinge und soziale Randgruppen zu Schuldigen erklärt, aufgefüllt. Die Linke ist daher im Kampf gegen rechts nicht nur gefordert, das scheinbare Agieren der Rechtsextremen für die „kleinen Leute“ als Lüge zu entlarven, sie muss auch offensiv die soziale Frage stellen. Sie muss die wahren Schuldigen für das immer größer werdende Elend der Massen aufzeigen und zum Widerstand dagegen aufrufen: eine Krisenbewältigungspolitik, die zugunsten von Banken und Konzernen ist; den Kapitalismus, ein System, das auf Ausbeutung und Unterdrückung basiert. Nur so kann man dem sich im Aufwind befindenden Rechtsextremismus den Wind aus den Segeln nehmen.