Der Faschismus stieg in den Ländern auf, in denen die sozialen Gegensätze eine bestimmte Schärfe erreichten.


Das Nachkriegschaos traf die Handwerker, Krämer und Angestellten nicht weniger heftig als die Arbeiter. Die Landwirtschaftskrise richtete die Bauern zugrunde. Der Verfall der Mittelschichten konnte nicht ihre Proletarisierung bedeuten, da ja im Proletariat selbst ein riesiges Heer chronisch Arbeitsloser entstand. Die Pauperisierung der Mittelschichten – mit Mühe durch Halstuch und Strümpfe aus Kunstseide verhüllt – fraß allen offiziellen Glauben und vor allem die Lehren vom demokratischen Parlamentarismus.

Zwischen Demokratie und Faschismus besteht ein Gegensatz. Er ist durchaus nicht »absolut« oder, um in der Sprache des Marxismus zu reden, bezeichnet durchaus nicht die Herrschaft zweier unversöhnlicher Klassen. Aber er kennzeichnet verschiedene Herrschaftssysteme ein und derselben Klasse. Diese beiden Systeme, das parlamentarisch-demokratische und das faschistische, stützen sich auf verschiedene Kombinationen der unterdrückten und ausgebeuteten Klassen und geraten unvermeidlich in schroffe Zusammenstöße miteinander.

Die Sozialdemokratie, die heutige Hauptvertreterin des parlamentarisch-bürgerlichen Regimes, stützt sich auf die Arbeiter. Der Faschismus auf das Kleinbürgertum. Die Sozialdemokratie kann ohne Arbeiter-Massenorganisationen keinen Einfluß ausüben. Der Faschismus seine Macht nicht anders befestigen als durch Zerschlagung der Arbeiterorganisationen.

Hauptarena der Sozialdemokratie ist das Parlament. Das System des Faschismus fußt auf der Vernichtung des Parlamentarismus. Für die monopolistische Bourgeoisie stellen parlamentarisches und faschistisches System bloß verschiedene Werkzeuge ihrer Herrschaft dar: Sie nimmt zu diesem oder jenem Zuflucht in Abhängigkeit von den historischen Bedingungen. Doch für die Sozialdemokratie wie für den Faschismus ist die Wahl des einen oder des andern Werkzeugs von selbständiger Bedeutung, mehr noch, die Frage ihres politischen Lebens oder Todes.

Die Reihe ist ans faschistische Regime gekommen, sobald die »normalen« militärisch-polizeilichen Mittel der bürgerlichen Diktatur mitsamt ihrer parlamentarischen Hülle für die Gleichgewichtserhaltung der Gesellschaft nicht mehr ausreichen. Durch die faschistische Agentur setzt das Kapital die Massen des verdummten Kleinbürgertums in Bewegung, die Banden deklassierter, demoralisierter Lumpenproletarier und all die zahllosen Menschenexistenzen, die das gleiche Finanzkapital in Verzweiflung und Elend gestürzt hat. Vom Faschismus fordert die Bourgeoisie ganze Arbeit: Hat sie einmal die Methoden des Bürgerkriegs zugelassen, will sie für lange Jahre Ruhe haben. Und die faschistische Agentur, die das Kleinbürgertum als Prellbock benutzt und alle Hemmnisse aus dem Wege räumt, leistet diese Arbeit bis zum Ende.

Der Sieg des Faschismus führt dazu, daß das Finanzkapital sich direkt und unmittelbar aller Organe und Einrichtungen der Herrschaft, Verwaltung und Erziehung bemächtigt: Staatsapparat und Armee, Gemeindeverwaltungen, Universitäten, Schulen, Presse, Gewerkschaften, Genossenschaften. Die Faschisierung des Staates bedeutet nicht nur die Mussolinisierung der Verwaltungsformen und -verfahren – auf diesem Gebiet sind die Veränderungen letzten Endes zweitrangig – sondern vor allem und hauptsächlich die Zertrümmerung der Arbeiterorganisationen, Zurückwerfung des Proletariats in amorphen Zustand, Schaffung eines Systems tief in die Massen dringender Organe, die eine selbständige Kristallisation des Proletariats unterbinden sollen. Darin besteht das Wesen des faschistischen Regimes.

Der Faschismus ist der zweite Treuhänder der Bourgeoisie. […] Der Faschismus ist aber – will man nicht töricht mit Worten spielen – keineswegs ein allen bürgerlichen Parteien gemeinsamer Zug, sondern eine besondere bürgerliche Partei, die für spezielle Bedingungen und Aufgaben geeignet ist, sich gegen die anderen bürgerlichen Parteien stellt und ihre Gewalt gerade gegen die Sozialdemokratie richtet. Man kann hierauf erwidern, daß die Feindschaft der bürgerlichen Parteien untereinander von nur sehr relativer Bedeutung ist. Das ist richtig, aber das ist eine Binsenwahrheit, die uns keinen Schritt weiter bringt. Daß alle bürgerlichen Parteien, vom Faschismus bis zur Sozialdemokratie, die Verteidigung der bürgerlichen Herrschaft höher stellen als ihre programmatischen Differenzen, schafft diese Differenzen ebenso wenig aus der Welt wie ihren Kampf untereinander und unsere Pflicht, aus diesem Kampf Nutzen zu ziehen.

Die Erfahrung in Italien, Deutschland, Österreich und anderen Ländern zeigt, dass „liberale Gruppen“ im Kampf gegen den Faschismus völlig versagen. Dieser stellt ihnen ein demagogisches Sozialprogramm entgegen und verurteilt sie zur völligen Vernichtung. Man kann gegen den Faschismus nur auf der Grundlage eines echten, ernsthaften revolutionären Sozialprogramms kämpfen, das nicht nur das Proletariat, sondern auch die unterdrückten kleinbürgerlichen Massen mobilisieren kann. Indem die „liberalen Gruppen“ Gegner eines revolutionären Programms sind, sind sie dazu in der Lage, die Initiative der Massen zu lähmen und sie in das faschistische Lager zu drängen. Die Formel „Antifaschismus“ passt sehr genau auf ehrenwerte Abgeordnete, Professoren, Journalisten und Salonschwätzer. Der bloße Begriff „Antifaschismus“ sagt dem Arbeiter, Arbeitslosen, armen Bauern, ruinierten Landwirt oder bankrotten Kleinhändler – wie der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung – nichts konkretes. „Antifaschistische“ Paraden, Bankette und Bündnisse usw. können nur Illusionen schüren und der Reaktion dienen. Nur Millionen und Abermillionen arbeitender, unterdrückter und ausgebeuteter Menschen können die Seuche des Faschismus vom Erdboden verdrängen.

Quellen: Die österreichische Krise, die Sozialdemokratie und der Kommunismus, 1929; Was nun?, Schicksalsfragen des deutschen Proletariats, 1932; Porträt des Nationalsozialismus, 1933; Antworten auf die Fragen der New York Herald-Tribune, 23. August 1937.


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