Justiz. Zehn Identitäre – darunter auch Martin Sellner und Patrick Lenart, die Frontmänner der Identitären Bewegung Österreich (IBÖ) – und sieben Sympathisanten kommen vor das Gericht. Mario Wassilikos analysiert.
Die Staatsanwaltschaft Graz erhob nach mehreren Hausdurchsuchungen Ende April Anklage gegen Mitglieder und Sympathisanten der IBÖ. Im Juli werden sich nun 16 Männer und eine Frau wegen des Vorwurfs der Verhetzung, der Bildung einer kriminellen Vereinigung (§ 278), der Sachbeschädigung und der Nötigung vor dem Straflandesgericht in Graz verantworten müssen. Der Großteil der angeklagten Mitglieder besteht aus Führungskadern, die bereits an der Gründung dieser faschistischen Organisation im Jahr 2012 beteiligt waren. Man muss sich die Frage stellen, warum gegen die Identitären nach Jahren der Toleranz durch die Strafverfolgungsbehörden nun doch vorgegangen wird. Erinnern wir uns zurück: Die Stürmung einer Jelinek-Theateraufführung an der Uni Wien im April 2016 endete mit einem Freispruch („Störung einer Versammlung“); die Aktionen bei einer Lehrveranstaltung an der Uni Klagenfurt, die Besetzung des Dachs der Parteizentrale der steirischen Grünen, eine Banneraktion bei der Botschaft der Türkei und Kreidesprayaktionen – hier gab es trotz Anzeigen nie eine Anklage. Jetzt jedoch wurde die Staatsanwaltschaft von sich aus aktiv. Warum?
Keine Illusionen in die bürgerliche Justiz
Die aktuelle Anklage bezieht sich nicht auf den spezifisch rechtsradikalen, rassistischen und faschistischen Charakter der Identitäten, sondern auf Formen des politischen Aktionismus an sich. Dies kann Rechts und Links treffen, aber auch Fußballfans oder Arbeitskämpfe. Das ist nicht aus der Luft gegriffen, wie der monatelange Tierschützer-Prozess von März 2010 bis Mai 2011 zeigt. Auch wenn die Tierschützer in diesem skandalösen Prozess freigingen, wurde das Leben vieler Angeklagter zerstört. Ähnliches passierte dem Rote-Falken-Aktivisten Josef S., der 2014 im Zuge der Demo gegen den Wiener Akademikerball auf Basis äußerst schwacher und teilweise im Prozess völlig widerlegter Beweisführung wegen Landfriedensbruch, Sachbeschädigung und Körperverletzung in Untersuchungshaft genommen und dann verurteilt wurde. Die Befürchtung, dass hier jene Gummi-Paragraphen bemüht werden, die dann in Zukunft verstärkt zur Kriminalisierung des politischen Aktionismus an sich herangezogen werden, liegt auf der Hand.
Vertrauen in die staatlichen Institutionen als Hüter der Demokratie ist also unangebracht. Man kann vielmehr vermuten: Indem einmal gegen Rechts geschlagen wird, tut man sich dann umso leichter, mit gleichem Paragraphen gegen soziale und politische Proteste der Arbeiterbewegung vorzugehen. Vergessen wir nicht: Der neue Wirtschaftskammerpräsident Harald Mahrer bezeichnete Gewerkschaften als Gegner der Republik, und diese Damen und Herren haben keine moralischen Bedenken, diese politische Position auch juristisch durchzusetzen.
Konflikt im Staatsapparat und in der FPÖ
Ebenfalls mitbedacht werden muss der Konflikt im Innenministerium zwischen den Parteigängern des FPÖ-Innenministers Herbert Kickl und jenen der ÖVP. Mittlerweile ist es durch das Nachrichtenmagazin „Profil“ öffentlich dokumentiert, dass Innenminister Kickl persönlich den Schlag gegen das ÖVP-Netzwerk in Innenministerium und Geheimdienst angeleitet hat. Wir wissen auch, dass dabei die geheimdienstliche Beobachtungsstelle „Rechtsextremismus“ zu den Kollateralschäden dieses Machtkampfes gehört und die FPÖ sich hier wahrscheinlich Zugang zu jenen Daten, die die eigene Partei in Verruf bringen würden, gesichert hat. Es ist möglich, dass die Überrumpelung des ÖVP-dominierten Justizministeriums in der Frage der Hausdurchsuchungen beim Verfassungsschutz die Anklageerhebung gegen die FPÖ-affinen Identitären mitbeeinflusst.
FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache wiederum ist bemüht, seine Partei aus der Dominanz der rechtsextremen Burschenschafter-Netzwerke, die eng mit den Identitären verwoben sind, herauszuwinden, wie die Einstellung des FPÖ-nahen rechtsextremen Magazins „Die Aula“ zeigt. Die ideologischen Vorstellungen dieser Leute sind momentan für die Pläne des österreichischen Kapitals hinderlich, da rechtsextreme Provokationen jederzeit zu einem Fokuspunkt für RegierungsgegnerInnen werden können.
Die ÖVP-FPÖ-Regierung steht für eine klassische bürgerliche Krisenbewältigungspolitik mit der damit verbundenen Tendenz zu einem autoritären Umbau des bürgerlich-demokratischen Rechtsstaates. Härtere Strafverfolgung und eine Aufrüstung der Polizei – vom Bundestrojaner bis zum Polizeipferd – sind Teil dieser Orientierung. Eine Distanzierung von den faschistischen Identitären nützt dieser Politik im Sinne: Einmal nach Rechts treten, um dann umso ungehemmter die Arbeiterbewegung kriminalisieren zu können. Daher: Gegen Kapital und Faschismus – diesen Kampf kann die Arbeiterbewegung an niemanden delegieren.
(Funke Nr.165/Juni 2018)