Die Black-Lives-Matter-Demos haben die Unterdrückung durch Rassismus und Polizeigewalt breit in die Öffentlichkeit getragen. Das ist den tausenden jungen Menschen zu verdanken, die auf die Straße gegangen sind und ihrer Wut und Empörung lautstark Luft gemacht haben. Laura Höllhumer über die Ideen und Programme in der Bewegung.

 Die Demonstrationen in Österreich standen in Solidarität mit den Protesten in den USA, aber sie brachten v.a. auch die systematische rassistische Unterdrückung und Diskriminierung hierzulande zum Ausdruck. Daher waren die Demos groß, lebendig, kämpferisch und frei von „Demo-Routine“. Hier gingen Jugendliche auf die Straße, die sich normalerweise nicht politisch engagieren, weil ihnen Politik nichts Positives zu bieten hat: ein Befreiungsschlag!

Die OrganisatorInnen der Demonstrationen waren aber – bis auf wenige Ausnahmen – AktivistInnen, die das notwendige Knowhow hatten, um solche Demos zu organisieren. Sie bringen dabei ideologisches Gepäck mit: Identitäts-Politik und Intersektionalismus.

Unterdrückung und Identität

Identitätspolitik entstand in den 1980er Jahren im kleinbürgerlichen Milieu der Universitäten, in einer Zeit, als die großen Klassenkämpfe der 70er Niederlagen erfuhren und schließlich abebbten. Persönliche Identität wurde nun zum Angelpunkt für soziale und gesellschaftliche Auseinandersetzungen erklärt. Frauen setzten sich für Frauenrechte ein, Homosexuelle gegen Diskriminierung aufgrund von Sexualität, Schwarze und People of Color gegen Rassismus etc. Ergänzt wird Identitätspolitik oft durch Intersektionalität, womit darauf hingewiesen wird, dass mehrere Formen von Unterdrückung existieren, die sich überlappen und so spezifische Erfahrungen und soziale Hürden erzeugen können.

Zentraler Angelpunkt der Argumentation ist so meist der Begriff der individuellen „Erfahrung“. Und dieser Zugang ist auf den ersten Blick scheinbar logisch: Rassismus drückt sich eben, wie alle Unterdrückung, in der Erfahrung von Einzelnen aus.

Aber die Grundlage der einzelnen persönlichen Schicksale ist nicht die subjektive Erfahrung, sondern die objektive Realität, die nach bestimmten Gesetzmäßigkeiten unabhängig und oft auch gegen den Willen Einzelner funktioniert. Wir können diese Gesetzmäßigkeiten verstehen. Doch all das leugnen die TheoretikerInnen der Identitätspolitik und des Intersektionalismus, die damit im philosophischen Sinne eine idealistische Theorie vertreten – d.h. die materielle, insbesondere die ökonomische Grundlage der Gesellschaft wird eben nicht als in letzter Instanz bestimmend und daher auch nicht als Schlüssel zur Überwindung von Unterdrückung angesehen. Diese philosophische Grundlage ist nicht nebensächlich, sondern resultiert in einer falschen Analyse des Problems und einer falschen politischen Praxis.

Alle diese Ideen haben eines gemeinsam: Sie betrachten das Spezifische der (rassistischen) Unterdrückung losgelöst von der Ausbeutung im Kapitalismus im Allgemeinen. Ihre Lösungsvorschläge bleiben daher Stückwerk und setzen einzig am Individuum an. Lange lag der praktische Fokus daher auf Repräsentation und Sichtbarkeit von Angehörigen marginalisierter Gruppen in Politik und Wirtschaft. Und ja, Angehörige unterdrückter Gruppen sind heute viel sichtbarer und einzelnen VertreterInnen wurde der soziale Aufstieg ermöglicht.

Die verschiedenen Spielarten der Identitätspolitik sind sich deswegen auch uneinig darüber welche Rolle nicht direkt vom Rassismus Betroffene in einer solchen Bewegung überhaupt spielen dürfen und sollen. Soll ich als Weiße offen gegen Rassismus auftreten? Oder ist das eine Vereinnahmung, die mir nicht zusteht, da mir die persönliche Diskrimierungserfahrung fehlt, wie die extremsten VertreterInnen dieser Theorien argumentieren würden?

Insgesamt schreibt sie nicht von Rassismus Betroffenen aber vor allem eine unterstützende, hauptsätzlich nach innen gerichtete, selbstreflektierende Rolle als „Verbündete“ (Englisch „Allies“) zu. Der Mosaik-Block etwa nennt acht identitätspolitische Ansätze: Höre Betroffenen zu; bilde dich; betreibe Selbstreflexion über deinen eigenen Rassismus; spende Geld an Betroffenen-Organisationen (wenn du es dir leisten kannst); zeige Zivilcourage bei Alltagsrassismus und Polizeikontrollen; dekolonialisiere dich selbst; erziehe deine Kinder antirassistisch; betreibe lebenslange Bewusstseinsarbeit.

BLM stellt Systemfrage

Diese Ideen und Praxis funktionieren allerdings nur in kleinen von der Gesellschaft und insbesondere der Arbeiterklasse isolierten Zirkeln. An der Realität der aktuellen Bewegung zerschellen diese Ideen, angefangen von der Zusammensetzung der Demos. Sowohl in den USA, als auch in Österreich waren und sind nicht nur direkt vom Rassismus Betroffene auf den Straßen, im Gegenteil, auch viele weiße Jugendliche und ArbeiterInnen gehen auf die Straßen, verteidigen sich gemeinsam gegen Polizeigewalt, stellen politische Forderungen auf – und das ist auch gut so!

Die Black Lives Matter-Bewegung in den USA ist auch in den politischen Forderungen nach links gerückt. Zum Beispiel wurde die Forderung nach „community control“ der Polizei im Fall Ferguson (2014) fallengelassen und der Slogan „abolish the police“ zur zentralen Idee der BLM-Bewegung 2020. Wurde 2014 noch eine „unabhängige Untersuchung“ des Mordes durch die bürgerlichen Gerichte gefordert, herrscht heute das Bewusstsein vor, dass die Entfernung einiger fauler Äpfel nichts bringt, weil das ganze System schuldig ist. Polizei und Gerichte dienen dazu dieses System aufrecht zu erhalten. Seit dem Entstehen von BLM sind verschiedene Strategien abgetestet worden. Es wird dabei immer klarer, dass die Ausrichtung auf Klassenkampf-Methoden wie Massendemonstrationen, Streiks (in den USA hunderte an der Zahl), Selbstverteidigungskomitees, Komitees zur Versorgung etc. die meisten Erfolge für die Bewegung bringen. Weiße und schwarze Jugendliche & ArbeiterInnen kämpfen gemeinsam und konnten so schon viel mehr erreichen als durch Reflektieren von Privilegien, Diversity-Initiativen oder Versuche, bürgerliche PolitikerInnen zu überzeugen.

Wohin geht BLM-Österreich

In Österreich wird diese Radikalisierung noch nicht nachvollzogen. Die AufruferInnen zur Wiener Großdemo setzen ganz auf institutionelle Diversitäts-Initiativen. Hauptforderung von BLM-Wien sind MigratInnen-Quoten in der Polizei, Anti-Rassismus-Schulungen für PolizistInnen und die Gesellschaft im Allgemeinen. BLM organisiert sich als Verein und wird diese Workshops wohl selbst anbieten. Interessantes Detail dabei: Obwohl viele OrganisatorInnen der Großdemonstration in Wien aus der SPÖ oder der Sozialistischen Jugend kamen, ließen sie ihre eigenen Organisationen außen vor, oder versteckten sie sogar. Notwendig wäre das Gegenteil: diese Organisationen offen nennen, politische Forderungen an sie stellen und an ihre Mitgliedschaft zu appellieren, Teil der Bewegung zu werden.

Stattdessen wurden von Seiten der OrganisatorInnen auf einigen Demos in Österreich RednerInnen nicht zugelassen, weil sie weiß sind. Damit ist nicht mal eine Solidarisierung möglich. Besonders stringent versuchten die OrganisatorInnen der Demo vor der amerikanischen Botschaft in Wien ihre Konzepte umzusetzen: sie forderten mehrmals auf, dass People of Color vorne in der Demo gehen sollten und Weiße am Ende. Gemeinsam Schulter an Schulter gegen Rassismus zu marschieren widerspricht der identitätspolitischen Schlussfolgerungen: Sie spaltet und schwächt die Bewegung. Nahtlos geht diese Stoßrichtung mit der liberal-bürgerlichen Aufforderung einher, das eigene „Privileg als weißer Mensch zu hinterfragen“ – so interpretierte etwa „Der Standard“ die Massendemos gegen Rassismus in Österreich.

So völlig zahnlos gemacht und immer mehr auf Symbolpolitik zurückgedrängt ist ein wirklicher Kampf gegen Rassismus unmöglich. Wir wollen daher mithilfe der marxistischen Methode versuchen eine Weg nach vorne für die Bewegung aufzuzeigen.

Was ist die Funktion von Rassismus?

Rassismus ist in unserer Gesellschaft systematisch, wenn wir das System, das ihn erzeugt, verstehen, können wir ihn auch effektiv bekämpfen. Das System, das dahintersteckt, heißt Kapitalismus. Mit der Durchsetzung dieses Wirtschaftssystems ging die Ausbeutung fremder Kontinente und die Diskriminierung aufgrund der Hautfarbe einher. Die ganze Welt teilt sich in Menschen, die für ein Gehalt jeden Tag arbeiten müssen und diejenigen, die Firmen, Immobilien usw. besitzen. Die KapitalistInnen leben davon, dass alle anderen für sie arbeiten. Um den Kampf gegen diese Ordnung zu schwächen, spalten sie diese ausgebeutete Mehrheit entlang von Hautfarbe, Herkunft, Religion oder Geschlecht und spielen sie gegeneinander aus, indem verschiedene Gruppen einer spezifischen Unterdrückung ausgesetzt sind.

„Ein Volk, das andere unterdrückt, kann sich nicht selbst emanzipieren. Die Macht, deren es zur Unterdrückung der anderen bedarf, wendet sich schließlich immer gegen es selbst“ brachte Friedrich Engels den unmittelbaren Zusammenhang von spezifischer Unterdrückung und allgemeiner Ausbeutung auf den Punkt. Rassismus ist also letztendlich ein Mittel zur Unterdrückung aller Arbeitenden. Ein gemeinsamer Kampf ist notwendig, und die aktuelle Bewegung zeigt: auch möglich und nützlich.

Allyship oder Solidarität?

Viele Menschen, allen voran die Jüngsten, sind tief bewegt von der rassistischen Gewalt und möchten etwas dagegen tun – ob sie selbst davon betroffen sind oder nicht. Immer mehr Menschen erkennen dabei, dass die widersprüchlichen und unzureichenden Antworten der Identitätspolitik & Co für diesen Kampf aber eine Sackgasse darstellen.

Nur eine sozialistische Revolution und die Errichtung einer demokratischen Planwirtschaft kann die materielle Grundlage für Rassismus abschaffen und der Klassenkampf ist der Weg, um sie zu verwirklichen. Das bedeutet aber keineswegs die Anliegen unterdrückter Gruppen hintanzustellen, sondern die geballte Macht der Arbeiterklasse hinter ihre Forderungen nach Gleichstellung zu mobilisieren. Die Hafenarbeitergewerkschaft ILWU macht es vor: Auf ihrem Flyer anlässlich des Streiks zum Tag der Sklavenbefreiung am 19.06.20 schreiben sie: „An injury to one is an injury to all“.

Die Arbeiterklasse umfasst Menschen mit unterschiedlicher Hautfarbe, Herkunft, Religion, Geschlecht und sexueller Orientierung. Aber gemeinsam hat sie die gesamte Macht in der Gesellschaft, da sie mit ihrer Arbeit die Produktionsmittel kontrolliert. Diese Macht gilt es bewusst zu nutzen und das geschieht auch immer mehr. KapitalistInnen und ihre politischen VertreterInnen (wie Obama, Biden oder Trump in den USA oder Kurz, Kogler und Co. in Österreich) haben der Arbeiterklasse entgegengesetzte Interessen. Sie wollen möglichst billig ausbeuten und mit Spaltungen entlang rassistischer Vorurteile geht das besonders gut. Die systematische, rassistische Unterdrückung muss mit aller Kraft bekämpft werden. Aber Identitätspolitik und Reformismus laufen darauf hinaus, dass wir uns um die Krümel, die vom üppig gedeckten Tisch der Reichen und Mächtigen fallen, streiten. Kämpfen wir um die ganze Bäckerei!

(Funke Nr. 185/1.7.2020)

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