„Was man nicht aufhalten kann, versucht man zu vereinnahmen“, das denken sich wohl die bürgerlichen Parteien im Bezug auf die Klimastreikbewegung. Sandro Tsipouras analysiert.

Sebastian Kurz hat die Klimastrategie präsentiert, mit der er in den Nationalratswahlkampf gehen möchte. In ihrem Zentrum steht: Wasserstoff. Dabei ist die Debatte um die Antriebstechnologie der Zukunft spätestens seit Ende der 2000er Jahre vorbei. Das Wasserstoffauto blieb eine unausgereifte Idee, das Elektroauto beginnt hingegen schon heute, sich weltweit durchzusetzen. Es gibt derzeit in ganz Österreich fünf öffentliche Wasserstofftankstellen und es sind 32 Wasserstoffautos zugelassen. Die Technologie ist für Normalsterbliche auch aus Kostengründen absolut unzugänglich.

Einmal mehr stellt Sebastian Kurz also unter Beweis, dass er bei der Formulierung seiner politischen Ziele nicht unbedingt die Interessen der Arbeiterklasse an oberster Stelle berücksichtigt. In wessen Interesse macht er diesen Vorschlag sonst? Auch hier lautet die Antwort: Für die österreichischen Industriellen. Die haben bereits laut applaudiert, denn für sie wäre Kurz‘ Plan, eine völlig neue Wasserstoffinfrastruktur aus dem Boden zu stampfen – bis 2025 soll es flächendeckend Wasserstofftankstellen in Österreich geben – eine Quelle unermesslicher Profite auf Staatkosten. Ob die dann nachher auch genutzt werden kann und wenn ja, von wem und zu welchem Preis, ist dabei eine völlig nachrangige Überlegung.

In gänzlich zynischer Weise wird hier also ein massives Konjunkturpaket für die österreichische Wirtschaft als Umweltschutzmaßnahme verkauft, während etwa von der Verringerung klimaschädlicher Subventionen überhaupt keine Rede ist.

Wie schon zu Zeiten der schwarz-blauen Regierung bereiten sich auch die NEOS schon jetzt darauf vor, den treuen Schoßhund der Großkonzerne spielen zu dürfen. Auch bei ihnen geht es vorrangig darum, dem Kapital erst einmal 40 Mrd. Euro in den Rachen zu stopfen; „Investitionspaket in den Klimaschutz“ nennen sie das, oder „Investition in Innovation“. Dann heißt es: „Wir besteuern Löhne zu hoch und Umweltverschmutzung zu niedrig.“ Das bedeutet in Wahrheit, dass im Produktionsprozess (aus dem die Profite der Konzerne generiert werden) Steuern erspart und den Massen neue Steuern auferlegt werden sollen, denn eine CO2-Steuer trifft vor allem arbeitende Menschen, die keine Wahl haben, wie sie zur Arbeit fahren oder wie ihre Wohnung geheizt wird.

Obendrein versucht diese Partei, eine offene Vorkämpferin der Konzerninteressen, die Fridays for Future-Bewegung für sich zu vereinnahmen und greift dabei antikapitalistische AktivistInnen in der Bewegung offen an. So meinte Spitzenkandidatin Beate Meinl-Reisinger am 15. Juni im Ö1 Mittagsjournal:

„Wir sind ja durchaus auch aktiv bei Fridays for Future und ich [finde es] dann schon immer ein bisschen beklemmend, wenn ich dann neben jemandem stehe, der ein Transparent in die Höhe hält, auf dem steht: ‚Smash Capitalism‘. Das ist nämlich genau nicht unser Zugang, als Liberale sage ich das, wir brauchen [vor allem] technische Innovationen und marktfähige Lösungen. Und im Übrigen ist das eine Riesenchance für unsere Unternehmen.“

Es gibt aber keine „marktfähigen Lösungen“ für die Klimakrise. Der „Markt“ ist gleichbedeutend mit nahezu unbegrenzter und unkontrollierter wirtschaftlicher Macht in den Händen Einzelner. Für die extreme Ineffizienz und Verschwendung des Kapitalismus, Verschwendung sowohl von menschlicher Arbeitskraft als auch von natürlichen Ressourcen, gibt es endlos viele Beispiele. Waren werden mit riesigen Schiffen rund um den Globus transportiert, um die billige Arbeitskraft in Asien und Afrika auszunutzen, Unternehmen forschen parallel am selben Produkt und geben Unsummen für Marketing aus, Unmengen von Nahrungsmitteln werden produziert und wieder vernichtet, nur weil sie keine zahlungskräftigen Kunden finden – obwohl gleichzeitig Millionen Menschen verhungern. Mit all diesen Dingen gehen massive Umweltprobleme einher. Dafür gibt es keine „marktfähigen Lösungen“, denn diese Erscheinungen sind das Ergebnis der Konkurrenz, die den Markt regiert.
Hand in Hand mit den NEOS gehen politisch die Grünen. Die Grünen gelten als der natürliche Verbündete der Klimabewegung. Diese Rolle wird ihnen mit einer solchen Selbstverständlichkeit zugeschrieben, dass sie von den meisten AktivistInnen und UnterstützerInnen der Bewegung kaum als „VereinnahmerInnen“ wahrgenommen werden. Von Haus aus scheinen sie eine Sonderrolle zu genießen. Was aber fangen sie damit an?

Seitdem sie gegründet wurden, besetzen die Grünen das Umweltthema aus einer kleinbürgerlichen Perspektive. Diese Partei spricht häufig und gerne vom Klimaschutz. Darunter versteht sie aber de facto ausschließlich die Einführung einer CO2-Steuer, den Stopp der Subventionen für fossile Energie und Förderungen für Unternehmen, die sich auf „grüne“ Technologie spezialisiert haben. Das klingt nach viel, hat mit einer Lösung des Problems aber nicht das Geringste zu tun. Spitzenkandidat Werner Kogler sprach es bei seiner Antrittsrede für die Wahlen offen aus:

„Der Umstieg vom Fossil- ins Solarzeitalter beginnt jetzt. Sonst wird's irgendwann zu spät… Österreich spielt eine wichtige Rolle in Europa. Und wenn wir hier wieder nach vorne kommen, dann können wir auch mit Vorbildwirkung - und mit den Chancen eben! - einen Beitrag leisten und im Übrigen: Wer hinten dran ist, hat ja nur die Kosten, wer vorn dran ist, hat vielleicht noch wirtschaftliche Vorteile, dass wir das nicht aus dem Auge verlieren. Sie können ja die Fragen stellen, wo wir uns da von SPÖ und ÖVP unterscheiden.“

Das ist das Angebot, mit dem die Grünen an die Konzerne herantreten: Wenn wir an die Macht kommen, dann gestalten wir den Ausstieg aus der fossilen Energie so, dass er für euch möglichst profitabel wird. Das klingt wie ein Versprechen für die Unternehmen. Aber gleichzeitig ist es auch die Festlegung einer Bedingung, die für alle Klimaschutzmaßnahmen zu gelten hat: Sie sollen profitabel sein. Jede Maßnahme, die diese Bedingung nicht erfüllt, kommt also nicht in Frage.

Und deswegen können die Grünen über Klimaschutz reden, soviel sie wollen. Insofern es darum geht, das Klima nicht nur vor diesem oder jenem besonders schmutzigen Konzern, sondern vor dem Kapitalismus an sich zu schützen, werden sie die Bewegung vollumfänglich verraten.

Das bedeutet: Keine Klimaschutzmaßnahme, bei der kein privater Profit für irgendein Unternehmen herausspringt, wird von den Grünen mitgetragen werden. Keine wirtschaftlich „unsinnigen“ Wiederaufforstungsprojekte, keine kostenlosen öffentlichen Verkehrsmittel, keine neuen Lebensperspektiven für die Milliarden Menschen, deren Lebensraum durch den Klimawandel unbewohnbar wird, keine Arbeitszeitverkürzung, keine systematische, gesamtgesellschaftlich organisierte Überwindung klimaschädlicher Produktionsmethoden – überhaupt kein planmäßiger Umbau der Gesellschaft, sondern nur eine leichte Änderung der Rahmenbedingungen für das unkontrollierbare Chaos, das man Marktwirtschaft nennt, auf dass aus diesem Chaos auf wundersame Weise eine Lösung für die Klimakrise entstehe.

Eine Bewegung, die den Klimawandel bekämpfen will, muss zur Kenntnis nehmen, dass die Zeit schon fast abgelaufen ist, um ihn aufhalten zu können. Daher muss das Problem so schnell wie möglich an der Wurzel gepackt werden: nämlich bei der Privatherrschaft der Konzerne und ihrer Eigentümer über der ganzen Welt. Hierzu haben die Grünen und die NEOS nichts zu bieten, denn sie stehen auf deren Seite. NEOS und Grüne agieren wie ein Transmissionsriemen für die Übertragung der Politik von Sebastian Kurz in die Fridays for Future-Bewegung hinein.

Das ist gleichzeitig der Grund dafür, warum diese Parteien überhaupt kein Problem mit symbolischen „Klimanotständen“, die im Parlament beschlossen werden, haben. Diese verpflichten zu nichts. Die Unterstützung eines „Klimanotstandes“ enthebt PolitikerInnen gerade der Pflicht, wirksame Maßnahmen zu ergreifen. Die Forderung nach einem „Klimanotstand“ ist wie gemacht dafür, dass NEOS und Grüne (und auch andere Parteien) sich bei der Klimabewegung beliebt machen können, ohne dass dabei erkenntlich wird, auf welcher Seite sie stehen. Sie ist eine Maske, die deren wahren Charakter verschleiert. Kein Konzern auf der Welt hat ein Problem mit einem symbolischen Klimanotstand. Im Gegenteil, die sind alle erleichtert über Maßnahmen, die sich darauf beschränken, symbolisch zu sein.

Es gehört seit jeher zum Repertoire der KapitalistInnen und ihrer politischen VertreterInnen, ihre eigenen Interessen zu den Interessen der ganzen Menschheit zu erklären. Die Fridays for Future-Bewegung wird von überallher mit Lob überschüttet, die Wichtigkeit ihres Anliegens nachdrücklich unterstrichen und hervorgehoben, dass es sich um ein Problem handle, an dessen Lösung die ganze Menschheit gemeinsam arbeiten müsse. Doch dieser gemeinsame Standpunkt existiert nicht. Die Einbindung in die Bewegung von denjenigen, die gerade für die Probleme verantwortlich sind, ist ein lähmendes Gift. Die Klimabewegung wird erfolgreich sein, wenn sie es schafft, sich dagegen zu wehren. Den Vereinnahmungsversuchen von Seiten der Grünen und NEOS muss eine deutliche Abfuhr erteilt werden. Doch uns muss bewusst sein, dass wir nicht gegen die Politik an sich kämpfen müssen. Der Kampf muss sich gegen die offenen und versteckten Versuche der bürgerlichen Politik richten, die Bewegung zu vereinnahmen. Ihnen müssen wir revolutionäre, sozialistische Politik entgegensetzen.

Daher: Für ein antikapitalistisches Programm in der Klimabewegung!

(Funke Nr. 175/Juli 2019)


  

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