Jahrelange Unterfinanzierung hat die Beschäftigten in allen Bereichen der Daseinsfürsorge an die Grenzen des Machbaren gebracht. Die Pandemie war nur der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat. Jetzt bahnt sich eine Welle an Kämpfen an. Von Emanuel Tomaselli.

Diese Bereiche werden überwiegend öffentlich finanziert, was die Bürgerlichen als „unproduktive Ausgaben“ verbuchen. Ihnen werden „wettbewerbsfähige Zukunftsinvestitionen“ im Produktivbereich gegenübergestellt. Leistungen wie Kinderbetreuung und Altenpflege werden auch ideologisch als „private Angelegenheit“ eingestuft, dies machts billiger. Schwankungen ergeben sich aus Profitinteresse: bei niedriger Arbeitslosigkeit macht die Wirtschaft etwa Druck für die Ausweitung von Kinderbetreuung, um Mütter wieder auf den Arbeitsmarkt zu bekommen.

Der gesellschaftliche Stellenwert der erbrachten Leistungen ist also umstritten und wird als politisch-konjunkturelle Manövriermasse gehandelt. „Wir müssen bei den Banken aufpassen. Die wollen 1,2 Mrd. für Nachmittagsbetreuung mit Rechtanspruch (…)! Mega Sprengstoff!“ informiert Thomas Schmid im Jahr 2016 Sebastian Kurz, dieser verhindert erfolgreich das bereits paktierte Kindergartenpaket der damaligen rot-schwarzen Regierung: „Gar nicht gut!!!! Wie kannst du das aufhalten? Kann ich ein Bundesland aufhetzen?“

Trotz jahrelanger fachspezifischer Ausbildungen werden viele Berufsgruppen als geringqualifizierte Nebenherjobs und Jobs auf Zeit gewertet. Demensprechend hoch ist die Arbeitsbelastung. Egal ob in der Pflege oder im Kindergarten, Beschäftigte berichten, dass die Arbeitsnormen so hoch sind, dass man den Beruf nicht langfristig ausüben kann ohne dabei selbst krank zu werden.

In den Kindergärten beträgt der Betreuungsschlüssel eine Pädagogin auf 24 Kinder (von 3 bis 6 Jahren). In der Pflege gibt es gar keinen bundesweiten verbindlichen Personalschlüssel, in der Realität arbeiten die meisten Stationen auf dem Niveau gesetzlicher Mindeststandards für den Notbetrieb. Es ist wegen Zeitmangel meist auch schwer, die Aufgaben dem Stand der Profession entsprechend zu erledigen. Die Beschäftigten sind gefangen zwischen der politischen Spardiktatur und den Kosten des sich in den Sektoren ausweitenden Profitmotiv (etwa Beratungsverträge, opulente Geschäftsführerbezüge, Auslagerungen von Leistungen wie Putzen, Küche oder Labor).

In den Pandemiejahren wurde aber greifbar, dass man „systemrelevant“ ist. In Berufsgruppen wie Pflege, Bildung, Kinderbetreuung und im Sozialbereich schiebt dieses neue Selbstbewusstsein zahlreiche Arbeitskämpfe an.

Was ansteht

Drei Monate nach den „5 nach 12“-Aktionen des Gesundheitspersonals an den öffentlichen und privaten Krankenanstalten rufen die Gewerkschaften zur Wiederholung der Aktion am 24.2. sowie im März auf und für Mai ist eine Großdemonstration geplant. Aktuell führt die Gewerkschaft vida eine Urabstimmung über einen Arbeitskampf an den oberösterreichischen Ordensspitälern durch.

Auch die Elementarpädagoginnen nehmen den Kampf wieder auf. Nach öffentlichen Betriebsversammlungen, zwei Großdemos in Wien im vergangenen Oktober und einer Demo in Graz knüpfen die Belegschaften der privaten Kinderbetreuungseinrichtungen in Wien am 29.3. mit einem ganztägigen Arbeitskampf an den Mobilisierungen vom Herbst an.

In der „Sozialwirtschaft“ die einen breiten Bereich privatwirtschaftlich organisierter Langzeitpflege, Kinderhorte, persönliche Assistenz, Behindertenbetreuung, Beratung etc. abdeckt, haben die Vorbereitungen für die herbstliche Kollektivvertragsrunde auf betrieblicher Ebene bereits begonnen. Öffentliche Aktionen, inklusive einer Demo in Wien sind bereits für das ersten Halbjahr in Planung, ein parallel zum Metaller-KV geführter Arbeitskampf im Herbst ist wahrscheinlich.

Sackgasse Sozialpartnerschaft

Die im Herbst 2019 lancierte „Offensive Gesundheit“ aller Teilgewerkschaften im Krankenhaus fordert eine „rasche Umsetzung“ der mit Gesundheitsminister Anschober im Jahr 2020 vereinbarten „Roadmap Gesundheit 2020“. Es handelt sich dabei um einen dreißigseitigen Aufriss der Problemstellungen und des Veränderungsbedarf, von „Sofortmaßnahmen“ bis hin zu langfristig wirksamen Maßnahmen in der Ausbildung. Bisher ist keine einzige Maßnahme vereinbart oder in Umsetzung. Man munkelt vielmehr, dass dieser Dialogprozess zwischen Regierung und Gewerkschaften gar nicht stattfindet.

Ähnliches gilt bei den Kindergärten, wo die Gewerkschaften ihre Einbindung in den Bildungsbeirat des Unterrichtsministeriums forderte, was mit den Demos im Herbst auch erreicht wurde. Seither herrscht aber auch hier komplette Funkstille.

Die Schlussfolgerung liegt auf der Hand: Das Hoffen auf eine Umsetzung von Verbesserungen durch Verhandlungen im Ministerium ist eine Sackgasse. Man muss rebellieren, um der politisch betonierten Ignoranz Verbesserungen abzuringen.

Wie machen wir uns stark?

Große Themenkataloge mit unbestimmten Verbesserungen eignen sich prinzipiell gut für politischen Kuhhandel in Hinterzimmern. Das spezifische Problem für die Gewerkschaftsspitzen aktuell ist aber, dass die hohe Politik sie schlicht ignoriert. Verschiedene Gewerkschaftsführungen versuchen daher verstärkt, dem wachsenden Frust im Sektor einen Ausdruck durch Aktionen zu geben. In allen hier besprochenen Bereichen werden kämpferische BetriebsrätInnen, PersonalvertreterInnen und AktivistInnen von den Gewerkschaftsapparaten eingebunden, um die Proteste zu organisieren und zum Erfolg zu machen. Diese Möglichkeiten sollten klassenbewusste Kolleginnen mit beiden Händen ergreifen.

Dabei ist es zentral, spezifische Forderungen, die etwas kosten, als klare Kampfziele zu erheben.

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Solche Ziele in den Gewerkschaften und in den Betrieben zu verankern und durchzusetzen ist notwendig, damit der soziale Protest tatsächlich Verbesserungen erzwingen kann. Die grundsätzliche Orientierung der Arbeitskämpfe muss lauten: mehr Geld, weniger Arbeitsdruck, keine Profitlogik im Sektor, effizienter Mitteleinsatz für die Beschäftigten und das Wohl der Betreuten in einem rein staatlich-kommunalen Sektor – und das alles konkretisiert auf die jeweiligen Bedingungen.

Verzichtet man im Kampf auf eine Festlegung eines klaren Ziels, sondern fordert nur Verhandlungen ein, werden die Mobilisierungen nur als Startrampe für Politik und Gewerkschaftsspitzen genutzt werden, um die Intentionen der Beschäftigten zu interpretieren und sie (wenn überhaupt) mit ihrem eigenen Inhalt zu füllen. Die protestierenden Kinderpädagoginnen in Wien erfuhren etwa im Parlament die verbale Unterstützung der SPÖ, der NEOS, der FPÖ und gar die „frenetische Zustimmung“ der Grünen Bildungssprecherin Hamann, die sogar noch mehr solche Proteste einforderte – bevor dann gar nichts passierte!

Direkt daraus abgeleitet ergibt sich auch die Wichtigkeit der Gewerkschaftsdemokratie. Es braucht Urabstimmungen über alle Verhandlungsergebnisse, um das tatsächliche Kräfteverhältnis zwischen Beschäftigten und Dienstgebern auszuloten. Am meisten Erfahrungen hat damit der SWÖ-Sektor, wo diese Forderung seit Jahren von der Gewerkschaftslinken propagiert wird und 2019 in einer selbstorganisierten Urabstimmungskampagne in 10 Betrieben auch umgesetzt wurde. Daran gilt es wieder anzuknüpfen.

Wir stehen für demokratische Gewerkschaften, die möglichst einen gesamten Bereich abdecken, anstatt dass mehrere Teilgewerkschaften in einem Bereich sich gegenseitig blockieren.

Zur praktischen Überwindung der gegebenen Spaltung stehen wir für breite Aktionseinheiten der Gewerkschaften in den Berufsgruppen und im ganzen Sektor der Daseinsfürsorge. So können wir gewinnen!

(Funke Nr. 201/23.2.2022)


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