Das Bündnis der Gesundheitsgewerkschaften „Offensive Gesundheit“ sammelt aktuell Unterschriften für eine Pflegereform und ruft am 12.5. zu Großdemonstrationen auf. Warum es einen gemeinsamen Kampf im gesamten Gesundheits-, Bildungs- und Sozialbereich braucht, argumentiert Martin Gutlederer.

 Das Aufdeckermagazin „Dossier“ ging über 350 Gefährdungsanzeigen von Pflegekräften nach und weist dabei auf systematische Missstände im Gesundheitsbereich hin. Beispielhaft wird anhand einer anonymen Pflegekraft analysiert, dass es kaum noch mehr einen Dienst gibt, wo man nicht eigene oder Fehler von KollegInnen bemerkt. Laut „Dossier“ ist der „Personalmangel zur Gefahr“ für PatientInnen geworden. Weisen Beschäftigte mit einer Gefährdungsanzeige auf diese gefährdenden Umstände hin, reagiert das Management mit Druck, Manipulation & Kündigungsdrohungen, berichtet das Journal. Die Präsidentin des Gesundheits- und Krankenpflegeverbandes (ÖGKV) Potzmann berichtet über das Managementverständnis im Gesundheitswesen: „Da ist nicht vorgesehen, dass jemand ausschert.“ Auch Edgar Martin, Vorsitzender der Younion im Wiener Gesundheitsverbund, berichtet, dass „der Deckel draufgehalten wird“, sogar beim Betriebsrat würde laut Dossier aussortiert.

Wer im Gesundheits- und Sozialbereich tätig und gewerkschaftlich aktiv ist, wird weder von den aufgezeigten Missständen noch von der Reaktion der Verantwortlichen überrascht sein. „Ausgabenbremse“, Personalmangel und Privatisierungen haben der gesamten Daseinsfürsorge auch über die Krankenhäuser und Pflegeheime hinaus massiv zugesetzt. Auch im Bereich der Elementarpädagogik lassen die Bedingungen keine professionelle Arbeit zu, was lautstarke Proteste der Beschäftigten im öffentlichen und privaten Bereich zeigen. Gemeinsam ist diesen Bereichen der Daseinsfürsorge, dass sie von Bürgerlichen als „unproduktive Ausgaben“ verbucht werden.

Die Wurzel der Probleme im Gesundheits-, Bildungs- und Sozialbereich sind dieselben: Die zunehmende Unterwerfung dieser Bereiche unter die Profitlogik durch politisch gewollten Sparzwang und (Teil-)Privatisierungen. Während für Aufrüstung ohne große Diskussion Milliarden aus dem Ärmel geschüttelt werden, hat die Politik für uns nur Krokodilstränen übrig. Gutverdienenden wird die Möglichkeit eingeräumt, sich durch private Versicherungen abzusichern.

Für einen öffentlichen Gesundheits-, Bildungs-, und Sozialsektor!

„In den Kindergärten, Horten und Kleinkindergruppen wird wichtige Bildungsarbeit geleistet, da sind sich alle Expert*innen einig. Es ist daher nur logisch, dass alle diese Einrichtungen in die öffentliche Hand gehören“, sagt Kollege Obermüller der Gewerkschaft younion. Diese Forderung nach einem öffentlichen Bildungssektor, muss für die gesamte Daseinsfürsorge aufgestellt werden.

Wir sehen in öffentlichen Spitälern einen internationalen Trend der scheibchenweisen Auslagerung von Leistungen an private Akteure. Damit werden Profitbereiche in den öffentlichen Dienst eingebaut. Auch Verträge mit privaten „Beratern“ und eine enge Verschränkung von öffentlichen und privaten Managern lassen die Kosten in die Höhe schießen. Der private Profit geht dabei immer zulasten der Qualität der Versorgung inklusive der Arbeitsbedingungen.

Wir schließen daraus, dass diese Sektoren allesamt rekommunalisiert und unter demokratische Kontrolle der Beschäftigten und der Gewerkschaften gestellt werden müssen. So kann man am besten einen effizienten Mitteleinsatz der Steuergelder und Versicherungsabgaben zum Wohle der PatientInnen, KlientInnen und Kinder gewährleisten. Jene, die bereits unter den aktuellen Bedingungen „das Werkl“ am Laufen halten, wissen auch am besten, was es braucht.

Für eine zeitgemäße Gewerkschaftspolitik!

Unter den Beschäftigten aller genannten Branchen und ihren vielen (öffentlichen und privaten) Trägerorganisationen läuft man mit der Idee, einen gemeinsamen Kampf zu führen, offene Türen ein. Allein die Gewerkschaften verharren in einer schwächenden Klientel-Haltung. Am sichtbarsten ist dies im Kindergartenbereich in Wien, wo die younion die Proteste der öffentlichen Kindergärten zwar immer in zeitlicher Nähe, aber getrennt von den privaten Kindergärten (die von der GPA organisiert werden) organisiert. Doch diese Spaltungspolitik ist kein Alleinmerkmal der younion-Führung. Die GPA-Wien etwa entschied sich (unsere Argumente übergehend) bewusst, den Protest der privaten Sozialvereine und Pflege auf zwei Tage vor der großen Gesundheitsdemo am 12.5. zu legen. In der „Offensive Gesundheit“ sind alle Gewerkschaften des Sektors gemeinsam vertreten, und hier herrscht eine undurchsichtige und ständig improvisierte Mobilisierungskultur vor.

Die tiefere Ursache für diese ständige Selbstschwächung liegt darin begraben, dass keine der Gewerkschaftsspitzen auf die Kraft der Beschäftigten setzt, sondern auf säuberlich getrennte Sozialpartnergespräche. Ob diese jedoch tatsächlich stattfinden ist – vorsichtig ausgedrückt – unklar.

Die Forderungen der ArbeiterInnen im Sektor der Daseinsfürsorge sind dabei seit Jahren klar: Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich, bessere Personalschlüssel, bessere Löhne und nicht zu vergessen eine bezahlte Ausbildungsoffensive mindestens entlang der Entlohnung von PolizeischülerInnen und ein Ende aller Einsparungen zulasten des Sektors. Das gilt für das Krankenhaus, die betreute Wohngruppe und den Kindergarten gleichermaßen.

Auch wenn wir nicht wissen, was der bisherige bunte Reigen an Gesundheits-, Bildungs-, und Sozialministern die letzten 2 Jahre außer zu improvisieren eigentlich gearbeitet hat: Von ihnen brauchen wir uns am grünen Tisch der Sozialpartnerschaft keine Verbesserungen erwarten.

Nein: Die Gewerkschaftsführung muss ihre gescheiterte Strategie des taktischen Mobilisierens bis zur Einladung zum Verhandlungstisch aufgeben und einen offensiven Kampf bis zum Streik der gesamten Daseinsfürsorge führen. Das heißt, dass über alle Grenzen der Sektoren und Teilgewerkschaften gemeinsame Aktionstage, Proteste und auch betriebliche Kampfmaßnahmen organisiert werden müssen, um den Druck so weit zu erhöhen, dass unsere Forderungen erfüllt werden. Auch jährliche Lohnverhandlungen müssen ihres rituellen Charakters beraubt werden und dafür genutzt werden, im gesamten Bereich zu kämpfen. Nur, wenn wir als ArbeiterInnen unser Schicksal in die eigene Hand nehmen und uns organisieren werden wir Verbesserungen erreichen können. Dies ist die Basis, warum wir in Wien und Vorarlberg die AktivistInnengruppe „Solidarität“ ins Leben gerufen haben, und wir laden alle interessierten KollegInnen ein, sich in diesen gewerkschaftlichen Basisinitiativen zu engagieren und sich politisch bei „Der Funke“ zu organisieren.

Der Autor ist Funke-Aktivist und Mitbegründer von Solidarität.

(Funke Nr. 203/22.4.2022)


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