Die Jahresinflation betrug im November 2022 10,6%, in den Herbstlohnrunden wurden die Löhne um durchschnittlich 7,9% angehoben. Der Plan der Kapitalisten, die Teuerungskrise auf die Beschäftigten abzuwälzen, ging weitgehend auf. Dies ist der falschen gewerkschaftlichen Strategie geschuldet, meint Emanuel Tomaselli.
Seit dem Anstieg der Inflation argumentierten heimische Wirtschaftswissenschaftler dafür, dass die Beschäftigten die Teuerungskrise bezahlen sollten. Dafür wurden phantasievolle Berechnungen (Kerninflationsrate ohne Energie- und Nahrungsmittelpreise) angestellt, Warnungen vor der Lohn-Preis-Spirale ausgesprochen und klassenübergreifende Solidarität für die Kriegspreise von Energie eingefordert. Die Österreichische Nationalbank – deren Volkswirtschaftler noch im April 2022 verlautbarten, dass die Inflation sich ab sofort abschwächen und im Jahresschnitt 5,6% nicht übersteigen würde – erdreistete sich selbst inmitten der sich zuspitzenden Metaller-Lohnverhandlungen vor den bescheidenen gewerkschaftlichen Forderungen „sachlich ökonomisch“ zu warnen. Gleichzeitig finden diese Leute kein Interesse daran, die Öffentlichkeit ebenso sachlich über die historisch hohen Profite, die immer krassere Umverteilung von Reichtum, die steigende Ausbeutung der Arbeitskraft, oder den allgemeinen Arbeitskräftemangel, der die Löhne eigentlich enorm ansteigen lassen müsste, aufzuklären.
„Kein Abschluss unter der Inflationsrate“
Dies versprach der ÖGB vor dem Herbst. Um das leichter zu erreichen konstruierte auch der Gewerkschaftsbund eine eigene Inflationsrate, nämlich die „rollierende Inflation“, die aus dem Durchschnitt der Monatsteuerung der vergangen 12 Monate besteht. Bei einer steil ansteigenden Inflation flacht diese Berechnungsmethode die Preissteigerung ab. Wenn die Preissteigerung sich einbremst, tritt der gegenteilige rechnerische Effekt ein (die rollierende Inflation wird höher sein als die Jahresinflation). Wir wagen eine Prognose: Es wird in diesem Fall an Inspirationen nicht fehlen, wieder ein neues Argument zuungunsten der Lohnabhängigen aus dem Hut zu zaubern.
„Alle bisherige Geschichte beweist, dass, wann immer eine solche Entwertung des Geldes vor sich geht, die Kapitalisten sich diese Gelegenheit, den Arbeiter übers Ohr zu hauen, nicht entgehen lassen“,
wusste Karl Marx schon 1865. Was er wohl nur erahnte, dass es einst kampferprobte Gewerkschaftschefs wie den Kollegen Wimmer von der PROGE geben wird, die den Schwindel als bare Münze nehmen und freudig ausrufen: „Es ist uns gelungen, in einer außergewöhnlichen Situation einen Reallohnzuwachs zu erreichen.“
Für eine andere Gewerkschaftspolitik
Die Preissteigerungen werden anhalten und die Effekte dieser Herbstlohnrunde bedeuten weniger Einkommen für Arbeiterfamilien, die in dieser Lohnrunde nicht einmal die vergangene Kaufkraft wiederherstellen können. Welche Fehler gilt es in Zukunft zu vermeiden? Je breiter die Lohnkämpfe organisiert werden, desto mehr ist für alle drinnen. Die Beibehaltung der separierten Lohnrunden, bei der es nur womöglich zu punktueller Solidarität hätte kommen können, hat alle geschwächt. Die Idee eines Generalkollektivvertrages aller Branchen und Gewerkschaften gegen die Teuerung gilt es in allen Gremien zur Debatte und Abstimmung zu bringen.
Die Gewerkschaftsbewegung sollte auch die automatische Anpassung aller Löhne an das Preisniveau als Kampfziel formulieren: was bei den Mieten und Gebühren geht, ist auch bei den Löhnen möglich! Eine solche Strategie würde einen politischen Bruch mit der Sozialpartnerschaft voraussetzen, und genereller mit der Idee, dass man als Betriebsrat und Gewerkschafterin nur ein Moderator zwischen Management und Belegschaft sei. Praktisch bedeutet dies: Urabstimmungen über die Verhandlungsergebnisse sind das beste Mittel, um herauszufinden, ob die Beschäftigten mit einem Angebot der Arbeitgeber zufrieden sind, oder sie durch eine Ausweitung von Kampfmaßnahmen mehr erreichen wollen.
Streiks sind populär
Die traditionell starken Metaller schlossen als erste mit 7,44% ab, bevor sie in den angekündigten Warnstreik traten. Dieser Abschluss wurde vom Verhandlungsführer der Eisenbahner, Kollegen Tauchner, schmallippig „als nicht unbedingt das Hilfsreichste“ kommentiert. Die Gewerkschaft vida reduzierte daraufhin ihre Forderung von 500€ für alle Eisenbahner auf 400€, organisierte dafür aber einen Warnstreik. Aller Medienhetze zum Trotz war der Eisenbahnerstreik vom 28.11. grundsolide – kein Rad bewegte sich übers Schienennetz – und immens populär. Bei der ersten Verhandlung nach dem Streik ließ die VIDA die 400€ Forderung fallen, zu Redaktionsschluss ist der Arbeitskampf noch nicht beigelegt.
Das Nachrichtenmagazin profil ließ erheben, dass 68% der ÖsterreicherInnen positiv zu Streiks stehen. Diese Stimmung kann durch unzählige Beobachtungen und Diskussionen in den Betrieben untermauert werden: „die Eisenbahner stellen sich vor uns“, ist der allgemeine Tenor. Ein ÖGB-Sekretär berichtet uns über die Betriebsversammlungen im Supermarkt, dass die betriebstörenden Versammlungen mit Applaus und Zustimmung der KundInnen bedacht wurden. Mit dem Verzicht auf eine verallgemeinerte Lohnbewegung verabsäumte es der ÖGB, dieser allgemeinen Stimmung zum Durchbruch zu verhelfen. Und so bleibt es bei vereinzelten Abschlüssen und Kämpfen, die alle – jeder für sich alleine – unter dem tatsächlichen Potential liegen bleiben.
Die aktuellen Lohnkämpfe zeigen aber an: Die Arbeiterklasse kann sich eine solch noble Haltung gegenüber den Kapitalisten nicht mehr leisten. Warnstreiks im privaten Gesundheitswesen (Wiener Ordensspitäler), der Eisenbahn, den Brauern, die große Demo im SWÖ und Handel, die Unruhe an den Universitäten, die Urabstimmungen in mehreren Branchen (gewerkschaftlich oder selbstorganisiert), der niedrige Abschluss bei den Metallern etc. zeigen an, dass die neue Realität des Klassenkampfes sich den Weg bahnt.
AktivistInnen müssen dies aktiv vorantreiben, indem sie in und gegenüber ihren Funktionären der Gewerkschaften viel selbstbewusster die sozialen und politischen Interessen der Arbeiterklasse einfordern.
(Funke Nr. 209/6.12.2022)