Im privaten Gesundheits- und Sozialbereich (SWÖ) finden die Beschäftigten Mittel und Wege, die viel zu zahme Gewerkschaftspolitik herauszufordern. Was in den letzten Monaten passiert ist, und was es braucht, schreibt Sarah Ott.
In diesem gesellschaftlich wichtigen Sektor brennt es an allen Ecken und Enden. Die Beschäftigten brauchen eine deutliche Verbesserung ihrer Arbeitsbedingungen und Gehälter, damit der Gesundheits- und Sozialbereich in den nächsten Jahren weiter aufrechterhalten werden kann. Wir brauchen daher nicht nur weitreichende Forderungen, sondern auch einen konkreten Plan, wie wir uns dieses erkämpfen wollen – die Grüne Wirtschaftssprecherin Jungwirth richtete z.B. den Gewerkschaften schon im Sommer aus, dass man nicht die ganze Inflation abgleichen wolle!
Die Gewerkschaftsspitze hat in den letzten Jahren schlechten Kollektivvertrags-Abschlüssen zugestimmt, obwohl es unter den Belegschaften Kampfeswille gegeben hat, mit Streiks noch mehr herauszuholen. In Wien gibt es seit einigen Jahren Betriebsräte (BR), die sich vernetzen und für eine kämpferische Herangehensweise stehen. Wir bringen Anträge in Betriebsrats-Konferenzen ein und setzen auf tatsächliche Selbstaktivität und Mitbestimmung der KollegInnen in unseren Betrieben. Diese Politik muss in der ganzen Gewerkschaft verbreitet werden! Die konservative Politik der Gewerkschaftsspitze und die undemokratischen Strukturen sind dabei das größte Hindernis. Aber der Druck von unten steigt:
Am 3. Oktober beginnen mit der Übergabe der Forderungen die Kollektivvertragsverhandlungen für den privaten Gesundheits- und Sozialbereich (SWÖ). Bereits im Mai fand in Wien die erste Betriebsrätekonferenz statt, bei der Widersprüche um Mitbestimmung und Gewerkschaftsdemokratie in hitzigen Debatten zutage traten. Die Wiener BetriebsrätInnen forderten mehr Transparenz und Mitbestimmungsmöglichkeiten durch die Basis ein und wollten, dass noch vor Beschluss und Übergabe der Forderungen eine bundesweite BR-Konferenz stattfinden soll.
Außerdem wurde auf dieser Tagung ein weitreichendes Forderungsprogramm (+750€ brutto bei Vollzeit für alle, Erhöhung der Zulagen um +15%, 32-Stunden-Woche bei vollem Personal und Lohnausgleich, Möglichkeit der 4-Tage-Woche, volle Anrechnung der Vordienstzeiten, …) und ein eskalativer Aktionsplan beschlossen und dem Landesausschuss der Gewerkschaft GPA für die Weiterleitung in den Bundesausschuss übergeben. Die Stimmung unter den BetriebsrätInnen war kämpferisch und viele kritisierten den zu schnellen Abschluss im letzten Jahr.
Heuer finden erstmals in allen Bundesländern vor der Übergabe der Forderungen BR-Konferenzen statt, wenn es auch keine österreichweite Konferenz gibt, wo man Forderungen und Aktionspläne breit debattieren und abstimmen könnte. Nach der ersten Verhandlungsrunde am 17.10. sollen Aktionswochen mit Betriebsversammlungen in ganz Österreich stattfinden. Nach der 2. Verhandlungsrunde am 15.11. sollen eine österreichweite BR-Konferenz stattfinden und Streikbeschlüsse gefällt werden, die dann gegebenenfalls nach der 3. Verhandlungsrunde am 27.11. auch umgesetzt werden sollen.
Dass der Bundesausschuss einen solchen Aktionsplan bereits jetzt beschlossen hat, ist zu einem großen Teil dem Druck zu verdanken, den die Wiener BetriebsrätInnen über Jahre aufgebaut haben, und der Tatsache, dass es im Sozialbereich brodelt. Dieser Druck muss ausgeweitet werden! Etwa indem BR bei den regionalen BR-Konferenzen ebenfalls kämpferische Forderungen einbringen und Mitbestimmung einfordern; indem Beschäftigte Nachfragen an ihre BR und die Gewerkschaft schicken und Aktionen einfordern, oder indem die Forderungen der Wiener und dieser Artikel weit verbreitet werden.
Wenn wir verhindern wollen, dass die Krise des Kapitalismus wieder auf uns abgeladen wird, müssen wir uns organisieren und gemeinsam kämpfen. Die anstehenden Herbstlohnrunden bieten dafür die Möglichkeit. Und wir dürfen auch nicht bei einer Branche stehen bleiben; organisieren wir gemeinsame Aktions- und Streiktage aller verhandelnden Branchen! Holen wir uns die Kontrolle über die Verhandlungen zurück und fordern wir Urabstimmungen ein, bevor ein Kollektivvertrag unterzeichnet wird!
Die Autorin ist Betriebsrätin beim Verein LOK
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(Funke Nr. 216/30.8.2023)