Saudi Arabien. Die pro-westliche, barbarische Diktatur der Königsfamilie Saud bröckelt an allen Ecken und Enden. Die Krise des amerikanischen Imperialismus im Nahen Osten erreicht eine neue Dimension. Eine Analyse von Jürgen Fuchshuber.

Die Hinrichtung von 46 Oppositionellen am 2. Jänner ist eine Verzweiflungstat, die die Krise des Gottes-Staates widerspiegelt. Die militärischen Niederlagen der von den Golfstaaten und der Türkei unterstützen syrischen Rebellen, der anhaltend niedere Ölpreis, der Wiederaufstieg des Iran zu einer regionalen Macht, und nicht zuletzt die wachsende soziale Unruhe im Land selbst bedrohen die Diktatur.

Die Hinrichtung von Al-Nimr

Die Anklage gegenüber dem pro-iranischen Geistlichen und seiner Gefolgsleute lautete auf Aufwiegelung, Ungehorsam und Waffenbesitz. Für kein Delikt gelang es den saudischen Autoritäten konkrete Beweise zu liefern. Nimrs Exekution provozierte eine heftige Gegenreaktion in schiitischen Gemeinden auf der ganzen Welt, besonders drastisch fiel sie jedoch im Iran, Bahrain und in Saudi-Arabien selbst aus. Dies gab den Prätext für den Abbruch der diplomatischen Beziehungen Saudi-Arabiens und mehrerer mit den Saudis verbündeter arabischer Staaten mit dem Iran.

Auch die unterdrückte und marginalisierte schiitische Minderheit in Saudi Arabien, für die Al-Nimr einen starken Bezugspunkt darstellte, protestierte massiv gegen die Hinrichtung. Es ist jedoch naiv anzunehmen, dass diese Reaktionen nicht vom saudischen Regime kalkuliert worden wäre. Es scheint im Gegenteil eher so, als handle es sich hier um einen gezielten Akt der Provokation, um die konfessionellen Spannungen in der Region noch weiter anzuheizen.

Dies führt zu der Frage, was die wirklichen Intentionen hinter dieser Hinrichtungswelle sind. Um dies zu verstehen, muss man einen Blick auf die regionale und innere Situation Saudi-Arabiens lenken.

Innenpolitische Situation

Bedingt durch den starken Verfall des Ölpreises, verzeichnete der saudische Staatshaushalt im Jahr 2015 ein Rekord-Defizit von 98 Milliarden US-Dollar. Die politisch motivierte Weigerung Saudi-Arabiens, mit den übrigen OPEC-Ländern ein Abkommen über eine Reduzierung der Fördermenge zu schließen, verschärft die krisenbedingte weltweite Öl-Überproduktion noch weiter.

Um das Budget-Defizit zu verringern, plant die saudische Regierung einen Teil ihres Auslandsvermögens aufzulösen, Teile ihrer Rücklagenfonds aufzubrauchen und Anteile des Ölfördermonopols ARAMCO zu privatisieren. Diese Maßnahmen beinhalten jedoch das Risiko einer weiteren Abstufung der saudischen Kreditfähigkeit, die ohnehin bereits im Oktober 2015 von S&P erstmals abgewertet wurde.

Wegen seiner, abseits vom Öl, stark unterentwickelten Wirtschaft benötigt Saudi-Arabien jedoch unbedingt das Vertrauen der internationalen Finanzmärkte. Die westlichen Geldgeber werden nur so lange bereit sein, einen hohen politischen Preis für ihre Freundschaft mit dem zunehmend unberechenbar agierenden ultrareaktionären Regime zu zahlen, solange man durch die hohe Profiträchtigkeit entschädigt wird. Bekommt dieses „Vertrauen der Finanzmärkte“ Risse, könnte die internationale Isolation des Regimes in Riad sehr schnell eskalieren.

Daher wird der saudischen Königsfamilie nichts anderes übrig bleiben, als ihre öffentlichen Ausgaben zu reduzieren. Seit Jahrzehnten sind jene Ausgaben jedoch die zentrale Säule ihrer Machtlegitimation. Um soziale Unruhen im Inneren und innerhalb der benachbarten Golfstaaten zu verhindern, gewährte sie für bestimmte Bevölkerungsschichten verschwenderisch hohe Subventionen. So schuf sie sich einen Schutzschirm vor dem Zorn der verarmenden Massen.
Während des Arabischen Frühlings gab der im Jänner 2015 verstorbene König Abdullah 130 Milliarden US-Dollar für ausgewählte Bevölkerungsgruppen aus, um sich damit Frieden zu erkaufen. Sein Nachfolger König Salman folgte diesem Beispiel und gab im Zuge seiner Krönung insgesamt 32 Milliarden US-Dollar dafür aus, dass allen Regierungsangestellten, Soldaten, PensionistInnen und StudentInnen mit einem Regierungsstipendium zwei extra Monatseinkommen ausgezahlt wurden.
Die von der Regierung angestellten ArbeiterInnen (ca. 3 Millionen) sind zum Großteil sunnitisch-gläubige saudische StaatsbürgerInnen, die beinahe doppelt so viel verdienen wie ArbeiterInnen im privaten Wirtschaftssektor. Darunter sind viele schiitische Saudis und zu 75 Prozent völlig rechtlose MigrantInnen. Die ausländischen ArbeiterInnen machen ein Viertel der saudischen Gesamtbevölkerung aus. Für die Familie Saud ist es daher äußerst wichtig, die oben genannte Bevölkerungsschicht wortwörtlich zu kaufen, um an der Macht zu bleiben. Das Dilemma ist jedoch, dass genau diese Politik durch das derzeitige Budget-Defizit kaum aufrechtzuerhalten sein wird.
Daher scheint es für die Machthaber ein bequemer Weg zu sein, die sektiererische Spaltung, in der das Land ohnehin steckt, zu vertiefen, indem es die anti-schiitischen und anti-iranischen Stimmungen innerhalb der privilegierten Schichten anstachelt, um von den kommenden Budgetkürzungen abzulenken.

Der Krieg im Jemen

Das Budget-Defizit in Saudi Arabien kommt jedoch nicht nur aufgrund des gefallen Ölpreises zustande. Weitere Faktoren sind die imperialistischen Einmischungen, die das Land in der Region betreibt. Im Budget von 2016 belaufen sich die Ausgaben Saudi-Arabiens für Sicherheit und Verteidigung auf 57 Milliarden US-Dollar.

Saudi-Arabien begann im März 2015 damit, Luftangriffe im Jemen gegen die pro-iranische schiitische Huthi-Miliz auszuführen. Hinter Saudi-Arabien versammelten sich die Staaten des Kooperationsrats der Arabischen Staaten des Golfes (CCASG), mit Ausnahme Omans, sowie Ägypten, Marokko, Jordanien und Sudan. Zudem geben die USA, Frankreich und Großbritannien geheimdienstliche und logistische Unterstützung.

Das Problem für Saudi-Arabien ist, dass die Intervention nicht wie geplant in einem schnellen Sieg endete, sondern bis heute keines ihrer Ziele erreichen konnte. Im Gegenteil: Der Krieg im Jemen ist nicht nur kostspielig, sondern auch zunehmend demoralisierend für die Armee. Saudi Arabien hat die mit Öl-Dollars aufgerüstete, neben Israel modernste Armee der Region. Diese ist aber mit inneren Widersprüchen, Söldnermentalität und persönlichen Abhängigkeiten ein Spiegelbild der saudischen Gesellschaft als Ganzes und damit extrem kampfschwach. Obwohl die Huthis an Territorium verloren haben, kontrollieren sie nach wie vor große Teile Jemens, inklusive der Hauptstadt Sanaa. Nach einigen Erfolgen im Süden des Landes scheint sich der Feldzug in einen Stellungskrieg zu verwandeln, den Saudi-Arabien nur noch dadurch gewinnen könnte, indem es nach einer groß angelegten Invasion eine dauerhafte Besatzung eines Landes vornehmen würde. Ein solches Vorgehen würde auf enormen Widerstand stoßen. Jemen wäre für Saudi Arabien das, was der Irak oder Vietnam für die USA waren. Al-Qaida sowie Bewegungen des Islamischen Staats (IS) können das Chaos im Jemen zusehends für sich nutzen und gewinnen dort an Boden.

Die erste Runde der Friedensgespräche zwischen den Huthi und Hadi-Unterstützern fand im Dezember 2015 statt. Weitere Gespräche waren für Januar geplant, fanden jedoch nicht mehr statt. Tatsächlich endete der ohnehin brüchige Waffenstillstand einen Tag nach der Exekution von Al-Nimr auf Kommando des Königs Salman.

Die Isolation

Die weltpolitisch weit wichtigeren Kriege finden im Irak und Syrien statt. Dabei ist Riads Politik in diesen Ländern der im Jemen ähnlich: Saudi-Arabien versucht bewusst, die Friedensbemühungen zu sabotieren. Auch die Beweggründe der Saudis sind ähnlich. Nach jahrelanger Unterstützung des IS und anderer islamistischer Rebellen, die gegen das Assad-Regime kämpfen, befinden sie sich bei den wiederholt angekündigten Friedensverhandlungen auf der Seite der Verlierer.

Unter den Schlägen der russischen Luftwaffe und der von Russland reorganisierten syrischen Armee und den iranischen Milizen sind der IS und die übrigen von Saudi-Arabien und der Türkei unterstützen Rebellen landesweit im Rückzug. Der Abschuss des russischen Kampfflugzeuges durch die Türkei ist dabei im gleichen Licht zu sehen, wie die Exekution von Al-Nimr: Verzweiflungstaten, um die Situation in Syrien weiter eskalieren zu lassen.

Die Saudis wollen einen Keil in die nun zusammenlaufenden Interessen der USA und des Iran in dieser Region treiben. In einer Pressekonferenz betonte US-Außenamt Sprecher Kirby, dass die USA kein Interesse daran hat, zwischen Iran und Saudi-Arabien zu vermitteln. In der Realität bedeutet das, dass Saudi-Arabien allein da steht. Riads Aktionen haben letztlich genau das Gegenteil davon produziert, was sie eigentlich bezwecken sollten.

Diese Isolation erklärt das zunehmend aggressive Auftreten der saudischen Despoten und des türkischen Erdogan-Regimes. Saudi-Arabien verlautbarte am 11. Februar, dass der Beschluss mit regulären saudi-arabischen Bodentruppen in den syrischen Krieg einzugreifen nun definitiv sei. Gleichzeitig forderte Erdogan die USA offen heraus sich zu bekennen, ob sie auf Seiten der „kurdischen Terroristen von Kobane“ oder auf Seiten der Türkei stehen. Beide Regionalmächte sehen in Syrien ihre Felle davonschwimmen, und legen jetzt alles in die Waagschale um ihre politischen Interessen und militärischen Investments in den islamistischen Terror nicht völlig abschreiben zu müssen. Die neue geopolitische Situation, die durch die wiederholten Niederlagen des bisher alles dominierenden US-amerikanischen Imperialismus geschaffen wird, bedroht vitale Interessen dieser kleineren traditionell pro-amerikanischen Regionalmächte. Daher haben diese Regimes zusammengefunden, um trotz der sich ständig verschlechternden militärische Situation in Syrien weiter am diplomatischen Parkett berücksichtigt zu werden.

Es ist nicht schwierig, zu erkennen, dass die USA und Saudi-Arabien Interessen haben, die im offenen Konflikt zueinander stehen. Nach einer Reihe desaströser Niederlagen in Afghanistan, Irak, Jemen, Libyen und Syrien, kann die US-Regierung nicht mehr die gleiche dominante Rolle in dieser Region spielen. Dies steht im Gegensatz zu den Wünschen der Saudis, die gerne eine US-Intervention gegen den, sich im Aufschwung befindlichen, Iran hätte, um ihre eigene Rolle in der Region zu erhalten.

Während sie dabei zuschauen müssen, wie ihr Einfluss in der Region schwindet, sie von einem Großteil ihrer Bevölkerung gehasst werden und sie international immer mehr isoliert werden, greift die herrschende Königsfamilie auf immer verzweifeltere Maßnahmen zurück, die sich letztlich als Bumerang erweisen werden.

Sie befeuern die sektiererischen Spaltungen in der Region, um sich dann in der Rolle der „Retter der Sunniten“ in Szene setzen zu können. Diese Politik wird jedoch dazu führen, dass sich nicht nur die Spannungen zwischen Iran und Saudi-Arabien gefährlich verschärfen, sondern auch die Konflikte innerhalb des Landes zunehmen werden.

Was sich hier offenbart, ist ein Regime, das machtlos bei seinem unaufhaltsamen Untergang zusehen muss. Seine Taktik, sich den sozialen Frieden zu erkaufen, funktioniert aufgrund der fallenden Einnahmen nicht mehr auf Dauer. Dem saudischen Terroristen-Export, bisher ein wichtiges Ablassventil, um die wahabitische ultra-reaktionäre Staatsreligions-Kaste beschäftigt zu halten, brechen die attraktiven Absatzregionen weg. Die herrschende Klasse droht dadurch zusätzlich gespalten zu werden. Und als ein ultra-repressives System hat es zudem keine funktionalen Ventile, über die sich der Zorn der oppositionellen Bewegungen entladen könnte. Die Tage der Regierung in Riad werden so oder so bald gezählt sein.


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