Seit dem Militärputsch Anfang Februar kommt das südostasiatische Land nicht mehr zur Ruhe. Konstantin Korn analysiert die Aufgaben der Massenproteste, in der die Arbeiterbewegung eine immer zentralere Rolle einnimmt.
Fast täglich kommt es in Myanmar zu riesigen Straßendemonstrationen, und zwei Generalstreiks haben seit Ende Februar das Land lahmgelegt. Das Militär, das in Myanmar seit Jahrzehnten der wichtigste Machtfaktor ist, reagiert auf diese Proteste zusehends mit massiver Repression. In Teilen von Yangon, der größten Stadt des Landes, hat die Armee bereits das Kriegsrecht ausgerufen. Die Zahl der Toten steigt ständig (bei Redaktionsschluss: 138), Tausende DemonstrantInnen wurden bereits verhaftet, darunter 80 Ärzte. Die Polizei macht gezielt Jagd auf AktivistInnen und durchkämmt sogar Spitäler und Universitäten auf der Suche nach Menschen, die bei den Demos verletzt wurden. Die Medienberichte zeugen von offenem Staatsterror.
Doch diese Einschüchterungsversuche funktionieren nicht. Es ist bemerkenswert, mit welchem Mut sich die Menschen trotz alledem schon wochenlang dem Staatsapparat entgegenstellen und dabei an die in Myanmar beheimateten Tiger erinnern. Ein entscheidendes Element in dieser Situation ist die Streikwelle von Transportarbeitern, Gesundheits- und Bildungspersonal, JournalistInnen und nicht zuletzt den 700.000 ArbeiterInnen in der Textilindustrie.
Garment workers in Myanmar are shutting down factories across the country as part of the nationwide general strike against the military coup. pic.twitter.com/8JSfkHxkBX
— redfish (@redfishstream) March 10, 2021
Die Gewerkschaftsführung ist jedoch weiterhin sehr zögerlich und spielt keine vorwärtstreibende Rolle in diesen Protesten. Es ist vor allem eine neue Generation von ArbeiterInnen, die in den letzten Jahren begonnen hat, die neuen demokratischen Rechte im Kampf für höhere Löhne und besseren Arbeitsschutz zu nutzen und die Koalitionsfreiheit und das Streikrecht nicht ohne weiteres aufzugeben bereit ist. Unter dem Eindruck der anhaltenden Massenproteste haben auch bereits hunderte Polizisten den Befehl verweigert. Das Ziel muss es sein, durch eine geschickte Propaganda, die sich an die unteren Ränge in Armee und Polizei richtet, zumindest Teile des Staatsapparats außer Gefecht zu setzen. Der Aufbau von bewaffneten Selbstverteidigungskomitees in den Betrieben, Unis und Armenvierteln gewinnt in dieser Situation an entscheidender Bedeutung.
Das Militär hat sich auch in der Phase des Übergangs zu einer bürgerlichen Demokratie eine wichtige Machtposition in Staat und Wirtschaft gesichert. Die Verfassung von 2008 hat die Sonderstellung des Militärs einzementiert, und die liberalen Kräfte rund um die gestürzte Präsidentin Aung San Suu Kyi (ASSK) haben diesen Zustand immer akzeptiert. Auch jetzt meiden die Liberalen den offenen Konflikt und betonen, die Proteste müssten „gewaltlos“ bleiben. Einmal mehr werden die Tiger von Eseln geführt, um das alte Sprichwort zu bemühen.
Der zentrale Slogan der Bewegung lautet „Nieder mit der Militärdiktatur, Freiheit für ASSK“. Die Mehrheit der Bevölkerung möchte weiterhin ASSK und ihre Partei, die Nationale Liga für Demokratie (NLD), an der Regierung sehen. Doch es gibt auch radikalere Strömungen, die immer lauter das Ende der Verfassung von 2008 fordern und somit direkt die Machtposition des Militärs in Frage stellen. Aus einer marxistischen Perspektive muss nun der Kampf für eine revolutionär-demokratische verfassungsgebende Versammlung geführt werden. In der neuen Verfassung darf das Militär keine Sonderrechte mehr haben. Die Liberalen beschränken sich im Wesentlichen auf die Forderung, dass sich das Militär in die Kasernen zurückzieht und die gewählte Regierung wieder ins Amt lässt. Davon abgesehen würde sich wenig ändern. Das Militär hätte weiterhin seine privilegierte Stellung und würde weiterhin rund die Hälfte der Wirtschaft kontrollieren. Solange diese ökonomische Machtposition nicht gebrochen wird, kann von Demokratie ohnedies nicht die Rede sein.
Wer die Herrschaft dieser Oligarchen in Uniform brechen will, muss nicht zuletzt ihre ökonomische macht brechen. Die Frage der Verteidigung der Demokratie ist somit untrennbar verbunden mit der Enteignung aller Unternehmen, die sich die Militärs in den vergangenen Jahrzehnten unter den Nagel gerissen haben. Daraus ergibt sich auch die besondere Rolle der organisierten Arbeiterklasse in dieser Demokratiebewegung. Die bisherigen Streiks haben gezeigt, welches Potential die Arbeiterbewegung in Myanmar hat. Auch wenn das Land noch immer stark agrarisch geprägt ist (70 Prozent der Bevölkerung leben von der Landwirtschaft), so hat das Proletariat in den Städten trotzdem ein besonderes gesellschaftliches Gewicht. Die Industrieproduktion macht 35 Prozent des BIP aus, Dienstleistungen weitere 40 Prozent.
Entscheidend wird sein, welche Politik die Arbeiterbewegung verfolgt. Die Gewerkschaftsspitzen sind mehr oder weniger reine Anhängsel der Liberalen. Die International Marxist Tendency (IMT), die mit GenossInnen in Myanmar in regelmäßigem Austausch steht, betont in dieser Situation die Notwendigkeit der Gründung einer unabhängigen Arbeiterpartei. Das Land hat eine lange kommunistische Tradition, und erst das Versagen der Stalinisten hat überhaupt den Spielraum für die Liberalen eröffnet, wodurch sich ASSK und ihre Partei an die Spitze der Demokratiebewegung stellen konnten.
Eine unabhängige Arbeiterpartei müsste in der jetzigen Situation die Losung nach einem Massenstreik erheben, der von einer Bewegung zur Besetzung von Fabriken, Banken, Ministerien, Universitäten und Schulen begleitet werden sollte. Streik-, Aktions- und Nachbarschaftskomitees, die sich landesweit vernetzen, würden die Voraussetzung schaffen, damit sich die Bewegung eine Führung mit der nötigen Autorität schaffen kann, um den Kampf gegen die Militärs erfolgreich zu führen.
Der Kampf für Demokratie wird in den nächsten Wochen in eine entscheidende Phase treten. Auf die Liberalen ist in diesem Kampf kein Verlass, umso wichtiger wird es sein, dass es zur Herausbildung einer unabhängigen Arbeiterpartei kommt, die der Bewegung eine revolutionäre Perspektive geben kann.
(Funke Nr. 192/17.3.2021)