Die Ereignisse in Pakistan überschlagen sich. General und Präsident Musharraf ist nun doch als oberster Armeechef zurückgetreten und wurde neuerlich als Präsident vereidet. Musharraf wollte mit dieser Entscheidung seinen KritikerInnen den Wind aus den Segeln nehmen und sich im Hinblick auf die bevorstehenden Wahlen zur Nationalversammlung, welche am 8. Januar 2008 stattfinden sollen, in neuem demokratischen Gewande präsentieren. Dieser Schritt sollte ihm auch die weitere Unterstützung durch die USA sichern. Von Alan Woods.
Musharraf versucht sich mit diesem Zugeständnis an der Macht zu halten. Er reagierte damit auf die Konflikte an der Spitze des herrschenden Systems in Pakistans und auf den Druck des US-Imperialismus. Die herrschende Klasse zeigt sich gespalten. Musharrafs Zugeständnis ist ein Zeichen von Schwäche, und das wird die Massen dazu ermutigen selbst das Heft in die Hand zu nehmen. Die Ereignisse werden dann einer eigenen Logik folgen.
Die Diktatur musste angesichts der Massenproteste und der offen zu Tage getretenen Widersprüche, welche die ganze pakistanische Gesellschaft durchziehen, letztlich klein bei geben. Wie wir richtig vorausgesagt haben, brachte die Rückkehr von Benazir Bhutto Millionen auf die Straße. Und zwar nicht wegen sondern vielmehr trotz ihrer Politik, trotz ihrer Anbiederung an den US-Imperialismus und trotz ihrer Versuche mit Musharraf einen Kompromiss zu finden.
Die Rückkehr von Bhutto und Nawaz Sharif (ebenfalls Ministerpräsident in den 1990ern) sowie der formale Rücktritt von Musharraf als Armeechef markieren den Anfang vom Ende der Diktatur, die an ihren eigenen Widersprüchen scheitert. Der Ausnahmezustand ist noch immer aufrecht, doch die Diktatur ist schwach und hat sich als Papiertiger erwiesen. Ihre Tage sind gezählt.
Nun laufen die Vorbereitungen auf die kommenden Wahlen. Eine wichtige Rolle spielt dabei Saudi-Arabien, das zu den wichtigsten internationalen Verbündeten von Musharraf zählt. Die saudische Königsfamilie bemüht sich um Einfluss in Pakistan und setzt dabei voll auf Ex-Ministerpräsident Sharif. Die Saudis wollen vor allem einen Sieg der PPP von Benazir Bhutto verhindern und basteln nun an einem Bündnis von Musharraf mit Sharifs Muslim League.
Washington war ursprünglich nicht sehr glücklich mit einer Rückkehr von Sharif auf der politischen Bühne. Die Massenmobilisierungen bei Bhuttos Rückkehr dürften aber auch im Weißen Haus zu einem Umdenken geführt haben. Die USA und Musharraf werden versuchen zwischen Sharif und Bhutto hin und her zu bilanzieren. Ihr Ziel wird eine Koalition dieser Kräfte sein, um die Massen ruhig halten zu können.
Musharraf musste unter dem Druck Washingtons mit den Vorbereitungen von Wahlen fortfahren, gleichzeitig bleibt aber der Ausnahmezustand aufrecht. Der Oberste Gerichtshof wurde mit Marionetten des Regimes besetzt. Von einer unabhängigen Justiz ist nichts mehr übrig. Es sind diese neuen obersten Richter, die faire Wahlen garantieren sollen!
Worin lag die Opposition der Rechtsanwälte, der Richter und der “demokratischen” Politiker gegen Musharraf? Sie lehnten sich nicht prinzipiell gegen die Politik des Regimes auf sondern vielmehr protestierten sie dagegen, dass sich das Militär einen zu großen Anteil an Macht und Wohlstand einverleibt hat und für sie selbst zu wenig übrig ließ.
Der US-Imperialismus verfolgt da ganz andere Interessen. Es geht um die „amerikanischen Interessen“. Pakistan ist ein wichtiger Verbündeter bei der Durchsetzung ihrer geopolitischen Ziele in Zentralasien, einer Region, die sich nicht gerade durch große Stabilität auszeichnet. Und das muss aus der Sicht des Weißen Hauses auch so bleiben. Daher werden alle Register der hohen Kunst der Diplomatie gezogen, um die Unterstützung Pakistans zu sichern. Diese freundlichen Beziehungen zu Islamabad kann man kaufen wie jede andere Ware. Und die USA lassen sich das auch einiges kosten.Wie jede Ware kann aber auch diese freundschaftliche Beziehung an Marktwert verlieren. Der Marktwert von Musharraf ist in der jüngsten Vergangenheit eindeutig in den Keller gerasselt. Zu wenig Durchsetzungskraft hat er an den Tag gelegt. Deshalb muss Washington nach neuen Freunden in Islamabad Ausschau halten.
Musharrafs zweiter Putsch und die Ausrufung des Ausnahmezustands waren für die USA alles andere willkommen. Hatte die US-Diplomatie mit allen Mitteln an einem Deal zwischen dem General und Benazir Bhutto gearbeitet.
Pakistan steckt in schwierigen Problemen fest. Es handelt sich um eine fatale Kombination aus ökonomischem Zusammenbruch, islamistischen Unruhen, Terrorismus und offenen Konflikten im politischen Establishment. Der genaue Ausgang dieser Krise ist derzeit nicht vorhersehbar, aber eins ist klar: die Instabilität wird zunehmen und damit einhergehend nehmen soziale und politische Polarisierungen zu. Dies wird sowohl revolutionären wie auch konterrevolutionären Tendenzen mächtigen Auftrieb geben.
Washington drängt auf alle Fälle auf diese Wahlen im Januar 2008, und seine Stimme hat Gewicht in Islamabad. Weitere kosmetische Zugeständnisse des Regimes sind wahrscheinlich.Kurzfristig wird die politische “Mitte” sich durchsetzen und die nächste Regierung bilden. Wahrscheinlich eine Koalitionsregierung der PPP mit der Muslim League, an deren Spitze Benazir Bhutto stehen wird. Diese Regierung wird sich aber in allen Belangen als ohnmächtig erweisen. Keines der grundlegenden Probleme der pakistanischen Gesellschaft wird sie zu lösen imstande sein.
Der Imperialismus und die herrschende Klasse in Pakistan fürchten sich natürlich nicht vor Benazir Bhutto, doch sie fürchten die Massen, die hinter ihr und der PPP stehen. Leere Versprechungen werden die Massen nicht zufrieden stellen. Sie wollen „roti, kapra aur makan” (Brot, Kleidung und Wohnungen; die alte Losung der PPP). Der pakistanische Kapitalismus ist unfähig dies zu gewähren. Dazu kommt, dass Sharif und Bhutto die Rückkehr in die Regierung dazu nutzen werden, sich die Taschen zu füllen und ihr Klientel zu bedienen. Benazir Bhutto versucht in erster Linie ihre Günstlinge ins Parlament zu bringen.
Trotzdem scheint ein Sieg der PPP, sofern die Wahlen nicht völlig gefälscht werden, wahrscheinlich.Eine Regierung unter der Führung von Bhutto wird dazu führen, dass die Massen ihr Recht einfordern werden. Das wird den Klassenkampf in Pakistan auf eine völlig neue Ebene heben. Die Krise in Pakistan ist keine oberflächliche politische Krise sondern eine Krise des Regimes selbst. Der pakistanische Kapitalismus ist schwach, korrupt, parasitär und verfault. Die pakistanische Gesellschaft steckt in einer Sackgasse, und die pakistanische Bourgeoisie ist unfähig einen Ausweg zu bieten.
Diesen Ausweg können nur die Massen, geführt von der ArbeiterInnenklasse, weisen. Es sind jene Millionen ArbeiterInnen, Bauern, revolutionäre Jugendliche und Arbeitslose, Frauen und fortschrittlichen Intellektuellen, die vor ein paar Wochen auf die Straße gingen und die Rückkehr der PPP-Führerin feierten. Und zwar trotz der Terrorgefahr und trotz Polizeirepression. Dabei feierten sie nicht eine Person sondern ein Ideal: das Ideal eines genuin demokratischen und gerechten Pakistan, ein Pakistan ohne Reich und Arm, ohne Unterdrücker und Unterdrückte – ein sozialistisches Pakistan.
In der kommenden Periode werden die Massen in die Schule von Benazir Bhutto gehen müssen, und dabei werden sie harte Lektionen lernen. Doch die Massen lernen immer aus Erfahrungen. Wie sonst? Eine PPP-Regierung wird unvorstellbarem Druck von allen Seiten ausgesetzt sein. Sie wird zwischen zwei Mühlsteinen geraten.
Die MarxistInnen in der PPP werden alle Versuche, eine Koalition oder Abkommen mit der Muslim League zu bilden, bekämpfen. Wir fordern die Umsetzung des Gründungsmanifests der PPP, ein sozialistisches Programm basierend auf der Enteignung des Großgrundbesitzes und des Kapitals. Geben wir jedem Einzelkampf eine sozialistische Perspektive. Pakistan steht vor einer wichtigen Weichenstellung: entweder schwarze Reaktion oder sozialistische Revolution. Ein sozialistisches Pakistan wäre der Auftakt für die Revolution auf dem gesamten indischen Subkontinent!