Am 18. April hat das türkische Militär eine Militäroffensive im vorwiegend kurdisch besiedelten und unter kurdischer Verwaltung stehenden Nordirak gestartet. Während die Medien hierzulande dazu weitestgehend schweigen, ist dieser Krieg für den türkischen Präsidenten Erdogan vor allem ein Mittel, um dem Zusammenbruch seiner Unterstützung in der Türkei etwas entgegenzusetzen. Eine Analyse unserer Korrespondenten.

Unter Einsatz von Kampfjets, Hubschraubern, Drohnen und schwerer Artillerie wurden laut türkischem Verteidigungsministerium Stellungen der Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) bombardiert, auch Spezialeinheiten seien eingesetzt worden. Die kurdische Seite gibt auch den Einsatz von Bodentruppen an.

Die jetzige Operation im Nordirak ist nur das jüngste Kapitel im brutalen Krieg der türkischen Regierung gegen die KurdInnen mit tausenden Toten. Nicht nur in der Türkei selbst wurden mehrere Städte dem Erdboden gleichgemacht, die Türkei hat in den letzten Jahren auch zahlreiche Invasionen im Norden Syriens und des Irak durchgeführt, bei der der jüngste Angriff im Nordirak nur der letzte in einer langen Reihe ist. Durch Flucht und Zerstörung wurden ganze Landstriche entvölkert.

Imperialistische Heuchelei und der NATO-Partner Türkei

In den Medien hierzulande fehlt die Empörung über Angriffskrieg und Kriegsverbrechen, die im Ukraine-Krieg so offen zur Schau gestellt wird. Die Presse spricht von einer Offensive gegen „kurdische Untergrundkämpfer“ und hebt die Einordnung der PKK in den USA und Deutschland als Terrororganisation hervor; deutsche Medien betonen den Verbotsstatus der PKK. Von brutalen Angriffen auf die Zivilbevölkerung und der Angst der lokalen Bevölkerung vor Bomben der türkischen Armee findet sich hier kein Wort. Lediglich die FAZ findet, dass, „vergleichbare Einsätze in der Vergangenheit immer wieder Kritik hervorgerufen haben“ traut sich allerdings nichts über die konkrete Kritik am jetzigen Einsatz zu sagen!

Der Grund dafür liegt nicht in persönlichen Präferenzen, sondern in den imperialistischen Interessen des Westens. Einerseits hat die EU mit Erdoğan schon vor Jahren den bekannten Flüchtlingsdeal geschlossen, der Milliarden in die türkischen Staatskassen spült, während als Gegenleistung Flüchtlinge aus dem Nahen Osten, Afghanistan etc. vom türkischen Staatsapparat am Grenzübertritt in die EU gehindert – und dabei auch nicht selten getötet – werden.

Andererseits ist die Türkei NATO-Mitglied, aber will schon seit Jahren eigene imperialistische Interessen in der Region verfolgen. Erdoğan versucht, die größeren imperialistischen Mächte gegeneinander auszuspielen und zwischen ihnen zu balancieren, indem er etwa Flugabwehrsysteme von Russland für die türkischen Streitkräfte einkaufte und im jetzigen Ukraine-Krieg als Vermittler auftritt.

Die Berechnung des „demokratischen Westens“ ist somit ebenso klar wie grausam: Warum sollte für ein paar Dutzend toter Kurden und so „Kleinigkeiten“, wie die Invasion in einem souveränen Land, eine diplomatische Krise mit dem verbündeten Kriegstreiber Erdoğan provoziert werden? Lieber nichts dazu sagen und stattdessen die Aufmerksamkeit auf den verfeindeten Kriegstreiber Putin lenken!

Gemeinsam gegen Erdoğan und Kapitalismus!

Diese Offensive ist der Versuch, eine alte Taktik auszugraben: Teile und Herrsche. Der türkische Kapitalismus befindet sich seit Jahren in der Krise. Vor wenigen Monaten haben wir schon über eine riesige Streikwelle berichtet, die selbst in AKP-Hochburgen zu Kundgebungen und Protesten geführt hat. Eine galoppierende Inflation plagt das Land; immer mehr Menschen hungern und verlieren ihr Vertrauen in die Regierung. Erdoğans Umfragewerte sind so niedrig wie noch nie, und spätestens nächstes Jahr soll gewählt werden. Die Militärkampagne ist ein verzweifelter Versuch Erdoğans, vom völligen Versagen im eigenen Land abzulenken.

Das Einzige, was in der Türkei den Ausbruch einer revolutionären Massenbewegung noch verhindert, ist die Alternativlosigkeit. Selbst die CHP als große Oppositionspartei hat auf Twitter der aktuellen militärischen Offensive Unterstützung ausgesprochen und spricht davon „für unsere Soldaten zu beten.“ Der Grund für diese Haltung ist, dass auch sie den Massen nichts zu bieten hat und in letzter Instanz nichts mehr fürchtet, als die Erhebung der türkischen Arbeiterklasse. Doch nur der gemeinsame Kampf der unterdrückten KurdInnen zusammen mit der türkischen Arbeiterklasse gegen Erdoğan, gegen die jämmerlichen Spaltungsversuche der Bourgeoisie und gegen das Elend des Kapitalismus, kann die Spirale an Krieg und Leid beenden!

(Funke Nr. 203/22.4.2022)


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