Die diesjährige US-Präsidentschaftswahl war nicht wie jede andere. Ursprünglich wurde ein komfortabler Sieg für Biden vorausgesagt. Stattdessen kam es zu einem tagelangen Wahlkrimi, bei dem bis zum Ende nicht klar war, ob nicht doch Trump am Ende das Rennen machen könnte. Begleitet wurde dies von einzelnen Aufmärschen bewaffneter Trump-Anhänger vor Wahlkabinen. Lukas Frank über die Perspektiven des Sozialismus in den USA.
Vorerst scheint Joe Biden diese Wahl gewonnen zu haben und die Hoffnungen, die seine reichen Geldgeber auf ihn setzen, sind hoch. So schreibt die New York Times in ihrem Editorial am 6. Oktober: „Unser Land ist schwächer, wütender, pessimistischer und stärker gespalten als noch vor vier Jahren. […]. [Bidens] Fokus wird es sein, die Spaltungen zu heilen und die Nation um gemeinsame Werte herum zu vereinen.“
Es stimmt, dass das Land wütend ist. Black Lives Matter hat bis zu einem Zehntel der US-Bevölkerung auf die Straßen gebracht, die sich dort Schlachten mit der Polizei lieferten. Bernie Sanders hat massenhaft Jugendliche mit seinem „Kampf gegen die Milliardärsklasse“ mobilisieren und zum politischen Leben erwecken können.
Jedoch bleibt die Frage offen, was diese „einenden Werte“ sein könnten, von denen die New York Times hier spricht. 20.000 amerikanische Amazon-ArbeiterInnen erkrankten an COVID, während sie für einen Stundenlohn von 13$ schuften. Welche Werte könnten diese Menschen mit Jeff Bezos gemeinsam haben, der inmitten der Corona- und Wirtschaftskrise sein Vermögen seit Jahresbeginn um fast 90 Mrd. Dollar erhöhte?
Hier drückt sich vor allem der verzweifelte Wunsch der obersten „1 %“ aus, dass nach all diesen Protesten und Polarisierungen endlich wieder Ruhe einkehrt. Wir haben es hier aber mit der grundlegenden Auseinandersetzung zwischen Ausbeutern und Ausgebeuteten zu tun, die in der jetzigen Krise nur stärker werden wird. In diesem Konflikt können keine Wogen geglättet, sondern nur Seiten gewählt werden und Biden und die Demokraten haben klar gezeigt, auf welcher Seite sie stehen. Trotz 4 Jahren Trump, der seinen Rassismus mit Stolz zur Schau stellt, sind Obama und sein damaliger Vizepräsident Joe Biden noch immer Rekordhalter in Sachen Abschiebungen. Über 5 Millionen Menschen wurden in ihren beiden Amtszeiten aus der USA ausgewiesen, wie einem Report des Migration Policy Instituts zu entnehmen ist.
Die designierte Vizepräsidentin Kamala Harris, die erste Frau (und Schwarze) in diesem Amt, gilt nun als große Hoffnung im Kampf gegen rassistische und sexistische Diskriminierung. Zumindest für „Schadensbegrenzung“ nach 4 Jahren Trump soll sie sorgen. Ihre politische Praxis als Attorney General (eine Mischung aus Justizministerin und Generalstaatsanwältin) von Kalifornien lässt allerdings kaum Euphorie aufkommen. Während sie dieses Jahr ihre Sympathien für „Black Lives Matter“ und sich für ein härteres Vorgehen gegen Polizeigewalt aussprach, tat sie selbst reichlich wenig gegen Polizeimorde. Das gehöre nur in außergewöhnlichen Fällen zu ihren Aufgaben, sagte sie damals. In ihre Amtszeit fällt auch die Ausweitung von Haftstrafen, um billige Arbeitskräfte für die (meist private) Gefängnisindustrie zu behalten. All das trifft vor allem marginalisierte Gruppen. Daran ändert auch nichts, dass eine schwarze Frau dafür verantwortlich ist.
In einem Interview gefragt, ob die Ansichten, die sie Biden als Vizepräsidentin mitgeben will, sozialistisch oder progressiv seien, antwortete sie mit einem Lachen und einem dezidierten: „Nein.“ Sie betont allem den Symbolcharakter ihrer Vizepräsidentschaft und will Joe Biden „die Perspektive einer schwarzen Frau näherzubringen“, anstatt sich für ihre früheren Forderungen, wie ein öffentliches Gesundheitssystem für alle, einzusetzen.
Angesichts explodierender Kosten für private Gesundheitsversicherungen (+50% in den letzten 10 Jahren) wünschen sich laut einer Wählerumfrage, die zähneknirschend vom rechten Sender FOX NEWS vorgestellt wurde, 70% ein öffentliches Gesundheitssystem. Alles was die Demokraten jedoch durchsetzen wollten, war „Obama Care“, das den privaten Versicherungsbereich sogar noch stärkte und wodurch Milliarden an Steuergeldern direkt in die Taschen der Versicherungskonzerne floss.
Der amerikanische Schriftsteller Gore Vidal bringt es treffend auf den Punkt: „Es gibt nur eine Partei in den USA – die Partei der Besitzenden […] und die hat zwei rechte Flügel: Republikaner und Demokraten“
Kein Wunder also, dass sich laut einer Gallup-Umfrage fast 60% der US-AmerikanerInnen eine neue Partei wünschen. Ansatzpunkt für so eine 3. Partei wären z.B. die Democratic Socialists of America, kurz DSA. Die bekannteste Vertreterin dieser 55000 Mitglieder starken Organisation ist Alexandria Ocasio-Cortez (AOC). Ihr erfolgreicher Wahlkampf um einen Platz im Repräsentantenhaus stützte sich auf viele kleine Einzelspenden, aber noch viel mehr auf die AktivistInnen der DSA.
Trotzdem trat sie nicht als Unabhängige, sondern für die Demokraten an. Eine Folge der weit verbreiten Illusion, man könnte mit genug KandidatInnen, die sich als sozialistisch bezeichnen, linke Politik in der Demokratischen Partei mehrheitsfähig machen. Dabei sind die Demokraten (genauso wie die Republikaner) nicht einmal eine wirkliche Partei. Es gibt weder Mitglieder (nur „registrierte Anhänger“), noch irgendwelche demokratisch legitimierten, lokalen Parteistrukturen. Übrig bleibt eine reine, von Großkonzernen finanzierte, Wahlkampfmaschine für ihre Spitzenfunktionäre. Bei ihnen gibt es keinen Platz für linke Ideen.
Dies konnte man schlussendlich auch an AOC selbst sehen, die unter dem Druck des Parteiapparates beständig nach rechts rutsche und inzwischen überlegt das Handtuch zu werfen, wie sie am 7. November der New York Times erzählte: „Ich weiß nicht mal mehr ob ich überhaupt in der Politik bleiben will. […]. Außerhalb der Partei habe ich sehr viel Rückhalt bekommen, aber innerhalb der Partei existiert eine extreme Feindschaft gegenüber allem, was auch nur entfernt nach etwas progressivem riecht.“
Die USA ist mit der schlimmsten Wirtschaftskrise seit den 1930ern konfrontiert. Joe Biden wird als Präsident der Reichen und Großkonzerne dafür sorgen, dass diese auf Kosten der ArbeiterInnen abgewälzt wird. Ohne eine sichtbare sozialistische Alternative, die in völliger Opposition zum etablierten 2-Parteien-System steht, wird die Polarisierung innerhalb der US-Arbeiterschaft nach Links und Rechts weiter zunehmen und den Boden für eine Stärkung Trumps oder einem anderen rechten Irren vorbereiten.
Der einzige Weg um das zu verhindern, ist eine Kraft aufzubauen, die alle Teile der amerikanischen Arbeiterklasse anhand ihrer gemeinsamen Interessen gegen die Bosse und Konzernbesitzer vereint. Die linken Kräfte in den USA haben es bisher nicht geschafft, diese Herausforderung anzunehmen. Ihre größte Schwäche ist das sture Festhalten an der Politik des kleineren Übels. Diese Strategie mündete auch dieses Mal wieder darin, dass unzählige selbsterklärte SozialistInnen zur Wahl einer rückständigen, rassistischen und sexistischen Partei der Großkonzerne – den Demokraten – aufrief, um eine andere rassistische, rückständige und sexistische Partei der Großkonzerne – die Republikaner – zu verhindern. Das reicht nicht aus, um Millionen von enttäuschten ArbeiterInnen begeistern zu können.
(Funke Nr.188/11.11.2020)