Der Supreme Court will das US-Abtreibungsrecht kippen. Sam Schatzinger über den Kampf um das Recht auf Selbstbestimmung über den eigenen Körper.

 In den USA zogen Mitte Mai 2022 zehntausende Menschen mit Slogans wie „Overturn Roe – hell no“ in über 450 Städten und Orten auf die Straße. Schon Tage zuvor befestigten AktivistInnen Plakate mit der Aufschrift „my body – my choice“ vor dem Höchstgericht in Washington. Viele sind bereit, für ihre Rechte zu kämpfen.

Angriffe auf das Abtreibungsrecht

Anfang Mai 2022 veröffentlichte das liberale Newsoutlet Politico ein geleaktes Urteil des Supreme Court. Darin ist zu lesen, dass die Grundsatzentscheidung des Falles „Roe vs. Wade“ trotz mehrheitlicher Unterstützung durch die Bevölkerung verworfen werden soll. Diese Entscheidung aus dem Jahr 1973 regelt das Recht auf Schwangerschaftsabbruch bis zur 24. Woche.

Wenn „Roe vs. Wade“ gekippt wird, können die Bundesstaaten Abtreibungen immer noch erlauben, aber eben auch verbieten. Viele Staaten haben solche Verbote im Hinblick auf das erwartete Urteil bereits vorbereitet – und einige bereits beschlossen. In Oklahoma verbietet ein neues Gesetz Abtreibungen bereits ab dem Zeitpunkt der Befruchtung. Die vier Abtreibungskliniken in Oklahoma wurden nun geschlossen. ÄrztInnen, die eine Abtreibung durchführen, müssen künftig mit Strafen bis zu 100.000 US-Dollar oder zehn Jahren Haft rechnen.

Auch wenn sich die Demokraten öffentlich für Frauenrechte stark machen, ist ihre Rolle im Kampf um das Abtreibungsrecht alles andere als progressiv. Im Wahlkampf versprachen sowohl Obama als auch Biden, dass sie das Recht auf Abtreibung gesetzlich verankern würden – aber sie hielten sich nicht daran. 1973 kritisierte Joe Biden, ein bekennender Katholik, die Entscheidung „Roe vs. Wade“: „Mir gefällt die Entscheidung des Supreme Courts zur Abtreibung nicht.“ Ihm ging das zu weit. „Ich glaube nicht, dass eine Frau das alleinige Recht hat, zu bestimmen, was mit ihrem Körper geschehen soll.“ 1981 stellte er das „Biden Amendment“ vor, welches verhindern sollte, dass US-amerikanische Gelder für internationale Forschungen im Bereich der Schwangerschaftsabbrüche verwendet werden dürfen. 1994 prahlte er in einem Brief an einen Kollegen damit, bei „nicht weniger als 50 verschiedenen Anlässen“ gegen die Finanzierung für Abtreibungen gestimmt zu haben.

Obwohl die Demokraten das Repräsentantenhaus, den Senat und das Weiße Haus kontrollieren, verankern sie nicht das Recht der Frauen, über ihren Körper zu bestimmen. Das Vorhaben, ein solches Gesetz im Senat durchzubringen, ist zuletzt gescheitert, weil der konservative Demokrat Joe Manchin zusammen mit den 50 Republikanern für „Nein“ gestimmt hat.

Kein Zugang zu sicheren Abtreibungen

Tatsächlich war „Roe vs. Wade“ keine Garantie für den Zugang zu sicherer Abtreibung. In den USA hat sich die Müttersterblichkeit in den letzten 25 Jahren verdoppelt. 700 Frauen sterben pro Jahr während der Schwangerschaft, bei der Geburt oder in den Monaten danach. Schwarze Frauen sind besonders gefährdet: Für sie ist das Risiko dreimal so hoch wie für weiße Frauen. Wenn „Roe vs. Wade“ fällt, werden Frauen, die sich für eine Abtreibung entscheiden, gezwungen sein, sich an unsichere Anbieter zu wenden und ihre Ersparnisse, ihren Lebensunterhalt und ihr Leben zu riskieren, um den Eingriff vornehmen zu lassen. Dagegen können reiche Frauen weiterhin in umliegende Staaten, oder sogar ins Ausland fahren, um Abtreibungen durchführen zu lassen. Die meisten Abtreibungskliniken in Kanada liegen nahe der Grenze zu den USA und werden schon heute von vielen Frauen in nördlichen US-Staaten genutzt.

Das Recht der Frau auf Selbstbestimmung über den eigenen Körper ist ein demokratisches Grundrecht. In diesem Sinne verteidigen wir „Roe vs. Wade“. Das Recht auf Abtreibung muss aber mehr sein als geduldiges Papier. Die notwendige Infrastruktur muss bereitgestellt werden. Wir fordern den kostenlosen Zugang zu Abtreibungen in Krankenhäusern unter sicheren und hygienischen Bedingungen.

Die Gesundheitsversorgung ist aber nur ein Aspekt dieser Frage. Abtreibungen würden drastisch zurückgehen, wenn die sozialen Bedingungen, die Armut und Hunger für Millionen von Menschen verursachen, abgeschafft würden. Die reaktionären Kräfte, die Abtreibungsverbote befürworten, setzen sich fanatisch für das Recht auf Leben vor der Geburt ein – aber das Recht auf ein menschenwürdiges Leben außerhalb des Mutterleibs ist ihnen völlig egal.

(Funke Nr. 204/31.5.2022)


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