Die unhaltbare Situation an den Schulen ist das Resultat jahrelanger Versäumnisse. Die dilettantische Krisenbewältigungsstrategie des Bundesministeriums für Bildung unter Heinz Faßmann schlagen dem Fass den Boden aus. Ein Mittelschullehrer spricht's aus.
Auf Wahlplakaten sind Kinder ein willkommenes Sujet. In der Realität sind sie nicht viel wert:
- Seit Jahren gibt es seitens der Regierenden Lippenbekenntnisse im Hinblick auf die Digitalisierung an den Schulen. Erst ab 2021 sollen Endgeräte an die SchülerInnen ausgeliefert werden. Schnelles Internet ist an vielen österreichischen Schulen noch immer ein Fremdwort.
- Der größte Ressourcenmangel herrscht aber beim Personal. Kleinere Schülergruppen und Team Teaching (zwei LehrerInnen arbeiten gleichzeitig mit der Klasse) ermöglichen eine bessere Ausbildung. Dies erfordert eine Aufstockung des Lehrpersonals. Politisch veranlasst wurde aber genau das Gegenteil. Das „Pädagogikpaket“ von 2018 reduziert das Team-Teaching an den Mittelschulen und brachte die Wiedereinführung von sogenannten Leistungsgruppen. Das bedeutet eine Selektion der SchülerInnen in drei Leistungsgruppen bei gleichzeitiger Reduktion bezahlter Lehreinheiten.
- Im Zusammenhang mit dem Distance-Learning offenbart sich auch die Problematik der Unterfinanzierung des schulpsychologischen und sozialarbeiterischen Bereichs. So wurden etwa im Jahr 2019 bundesweit 100 Schulsozialarbeitsstellen (in Wien bedeutete das ca. ein Drittel der Stellen) gestrichen. Wie brutal sich solche Kürzungen auf das Leben von Kindern auswirken können zeigte sich im ersten Lockdown, in dem die Meldungen von Kindesmissbräuchen im Vergleich zum Vorjahr massiv zurückgingen. Die Schule als Kontroll- bzw. Meldeinstanz für das Kindeswohl fiel in dieser Zeit aus. Hätte es bereits vor dem Lockdown ausreichend Ressourcen gegeben, hätten sich dessen Folgen auf betroffene SchülerInnen mildern lassen.
Es waren nicht die Bedürfnisse der SchülerInnen, die die Regierung Anfang Dezember dazu motivierten, die Unterstufen wieder zu öffnen. Personalengpässe im Handel und in der Pflege zwangen sie dazu, betreuungspflichtige SchülerInnen wieder an die Schulen zu rufen. Oberstufenklassen bleiben derweil weiter zuhause. Nur MaturantInnen dürfen tagesweise an die Schulen und für Schularbeiten gibt’s Präsenzunterricht.
Nun wird jedoch öfters argumentiert, dass die SchülerInnen die Schulschließungen gut verkraftet hätten. Das mag vielleicht auf die Söhne und die Töchter der Reichen in den Privatgymnasien zutreffen. Gerade bei SchülerInnen im öffentlichen Pflichtschulbereich ist das nicht der Fall: Im ersten Lockdown konnten 20 Prozent der SchülerInnen nicht von ihren Lehrkräften erreicht werden – die meisten an Pflichtschulen.
Weiters: Faßmann kündigte im April an für 5,5 Mio. € Leih-Laptops für SchülerInnen, die zuhause keinen haben, anzukaufen. Doch diese Ankündigung bezog sich nur auf Bundesschulen. Pflichtschulen sollen nach wie vor vom finanziellen Wohlwollen der Landesregierungen abhängig sein. Zudem wurde diese Summe vom Finanzminister auf 2,1 Mio. € reduziert. Tatsächlich ausgegeben wurden bis Juli dieses Jahres 200.000 €. Vom erhobenen Bedarf von 46.000 Computern wurden schließlich knapp über 7.000 Leihgeräte ausgegeben. Der Rest der SchülerInnen bleibt ohne digitales Endgerät um dem angebotenen Unterricht folgen zu können – auch im zweiten Lockdown, neun Monate nach dem Auftreten der Pandemie in Europa!
Auf Schul-Anfragen beim Wiener Stadtschulrat, dass man Laptops für Kinder brauche, um den Unterricht im Lockdown aufrechtzuerhalten, hieß es etwa im November, dass alle Geräte längst vergeben seien und man nun auf private Sponsoren (sic!) warte, damit man weitere Geräte ausgeben könne.
Faßmann warb währenddessen in einer Aussendung, dass man abgetrennte Lern-, Schlaf- und Spielräume für Kinder im Distance-Learning schaffen solle. Wie viele Familien haben zu Hause Ersatzzimmer? Fakt ist: Weder an den Schulen noch bei den SchülerInnen sind ausreichend Ressourcen für Distance-Learning vorhanden.
Auch das Lehrpersonal erhält in dieser Situation kaum Unterstützung. Anstatt seitens des Ministeriums auf eine zentrale und zuverlässige Plattform zu setzen und das Lehrpersonal darin zu schulen, wird es den LehrerInnen überlassen, sich individuell um Lösungen für ihren Unterricht zu kümmern. PädagogInnen können unterrichten, aber sie können in Normalfall kein neues Bildungssystem improvisieren.
Ähnlich sieht es heute bei den Sicherheitsmaßnahmen in den Schulen selbst aus. So mangelt es sieben Monate nach dem ersten Lockdown und der jetzt erfolgten Teilöffnung nach dem 2. Lockdown noch immer an völlig grundsätzlichen Dingen wie Desinfektionsmittelspendern und Masken. Zudem wurde verabsäumt, für ausreichenden Raum und zusätzliches Lehrpersonal – beides absolut notwendig – zu sorgen. Dies zeigt Desinteresse und Planlosigkeit der Regierung.
Schule: Spielball zur Arbeitsmarktregulation
Die Schulen fungieren in der Corona-Krise als chronisch unterfinanziertes Instrument zur Pufferung der gesamtgesellschaftlichen Infektionszahlen. Weder das schulische Personal, noch die SchülerInnen, noch das „Recht auf Bildung“ sind den Herren und Damen im Ministerium einen klaren Gedanken, geschweige denn einen Euro wert. Konnte man zuerst darauf spekulieren, dass diese Leute schlicht überfordert sind, ist jetzt klar, dass dies nichts anderes als bürgerliche Elitenpolitik in Krisenzeiten ist. Die Massenarbeitslosigkeit der kommenden Jahre senkt den Bedarf von gut ausgebildeten FacharbeiterInnen, folgerichtig verlässt sich die Kurz-Kogler Regierung darauf, dass Bildung in erster Linie über Familien vererbt wird: für einen schrumpfenden Arbeitsmarkt lässt sich auch mit Laissez-fair genügend Arbeitskräfteangebot schaffen, der Rest ist Reservearmee für „bessere Zeiten“.
Auf Journalistenfragen nach Anmietung von zusätzlichen Räumen und regelmäßigen Massentestungen an den Schulen antwortet Faßmann so auch am 7. Dezember nonchalant: Dies ist eine Frage von Kapazitäten und Organisation. Da müsse man noch reflektieren, man habe noch ein wenig Zeit.
Die, die keine Zeit mehr haben, sind das Schulpersonal und die SchülerInnen. Wie man es auch dreht und wendet: das Jahr 2020 ist für die Mehrheit der SchülerInnen ein verlorenes Jahr, und geht es nach Faßmann wird sich dies nicht ändern. Ein harter Gegendruck ist notwendig, eine neue Welle an Demos und Streiks im Bildungssektor.
Nieder mit der Eliten-Arroganz – wir brauchen mehr Ressourcen!
(Funke Nr. 189/10.12.2020)