Am 27. Oktober stimmte der Parteivorstand der SPÖ Wien für Koalitionsverhandlungen mit den NEOS. Eine Stellungnahme von Florian Keller.
Rund um die Debatte zu den Koalitionsverhandlungen zwischen SPÖ und NEOS ließ eine Aussage von Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) aufhorchen: Auf die Frage nach möglichen Privatisierungen (die die NEOS im Programm haben) meinte er: „Es ist derzeit nicht die gesellschaftspolitische Phase, wo Privatisierungen im Vordergrund stehen“. Das lässt tief blicken, zeigt es doch die Bereitschaft, „in einer anderen gesellschaftspolitischen Phase“ die öffentliche Daseinsvorsorge den privaten Profitinteressen in den Rachen zu werfen.
Doch in Wirklichkeit ist die systematische Privatisierung von Profiten auch in Wien keine Zukunftsmusik, sondern im Hintergrund schon seit Jahren im vollen Gange: sei es unter der SPÖ-Alleinregierung oder unter Rot-Grün. Im Gesundheits- und Sozialbereich wurde vielleicht nicht das Krankenhaus privatisiert, aber es werden immer mehr Leistungen und damit Profite an private Unternehmen ausgegliedert. Seit Jahrzehnten findet so gut wie kein Bau von Gemeindewohnungen mehr statt, stattdessen besteht der soziale Wohnbau aus Steuergeld-Förderungen an private VermieterInnen. Große Banken und Konzerne scheffeln daraus Millionenprofite. Die NEOS in der Stadtregierung werden diesen Trend bestärken und den roten Stadtmanagern ein sehr genehmes „rechtes Feigenblatt“ bieten. Oder um es mit Michael Ludwig zu sagen: Man sei „durchaus bereit, offenen Herzens auf die Neos zuzugehen“.
Als MarxistInnen geben wir uns keiner Illusion hin, dass eine Koalition der SPÖ mit einer anderen, „linkeren“ bürgerlichen Partei (konkret: den Grünen) in irgendeiner Form das „kleinere Übel“ sei. Wir würden auch so eine Koalition ablehnen und haben das in der Vergangenheit in Wien auch getan. Wie wir direkt nach der Wahl schrieben: „Jede Koalition mit einer dieser Parteien ist eine billige Ausrede, die Diktatur der leeren Kassen auch in Wien zu exekutieren, anstatt einen offensiven Kampf gegen die Sparlogik aufzunehmen.“ Eine Alternative könnte die SPÖ Wien nur bieten, wenn sie eine völlig unabhängige Position der Arbeiterklasse und ein radikales Programm der sozialen Verbesserungen formulieren würde, das die ArbeiterInnen massenhaft zum Kampf gegen den Kapitalismus mobilisiert.
Doch so einen Kurswechsel wird die derzeitige Führungsriege niemals vollziehen, die mit Leib und Seele an den „Wirtschaftsstandort Wien“ verkauft ist. Daher konnte es bei den Wahlen nur eine kritische Unterstützung für die SPÖ-Liste geben und jeder Schritt nach vorne setzt voraus, dass Linke in der Partei (und darüber hinaus) entschlossen gegen die bürgerliche Politik und Führung der Sozialdemokratie kämpfen.
Jetzt gilt es für alle Linken, den konkreten nächste Schritt zu machen. Und der kann nur darin bestehen, den Kampf gegen die geplante Koalition mit den NEOS entschlossen aufzunehmen. Eine solche Kampagne müsste auch nicht auf die Sozialdemokratie beschränkt sein, sondern könnte konkret dazu dienen, Linke innerhalb und außerhalb der Partei mit einem gemeinsamen Ziel zu vereinen. So könnte z.B. auch LINKS, das bei den Bezirksratswahlen Erfolge feiern konnte, Entschließungsanträge auf Bezirksebene gegen die (geplante) Stadtregierung stellen und an die Linken in der SPÖ mit dem Angebot eines gemeinsamen Kampfes herantreten. Denn über den Charakter einer Regierungsbeteiligung der NEOS dürften sich Linke der verschiedensten Strömungen, bei allen Unterschieden über eine mögliche Alternative, einig sein: Ein weiterer Schritt in Richtung Privatisierungen, sozialen Kürzungen und abgehobener Managerpolitik.
Daher haben Funke-UnterstützerInnen in SPÖ-Strukturen und in der Sozialistischen Jugend Wien Anträge gestellt, die die Ablehnung einer Koalition mit den NEOS argumentieren. Dazu haben wir die Forderung der SJ aus dem Nationalratswahlkampf im vergangenen Jahr aufgegriffen, jedes Koalitionsabkommen einer Urabstimmung zu unterziehen: Sie könnte zu einem praktischen Sammlungspunkt für alle Kräfte werden, die den Rechtskurs der SPÖ-Spitze ablehnen.
Diese Anträge wurden jedoch in keinem Fall angenommen. Auch sonst hat es bisher keine größeren Initiativen für die Organisierung eines praktischen Kampfs gegen die Koalition gegeben. Das zeigt letztendlich, dass die Linke der rechten Führung derzeit nichts entgegensetzen kann. Die fehlende politische Alternative zum Reformismus und der Druck der materiellen Abhängigkeiten vom Parteiapparat und von den Förderungen der Stadt gehen hier Hand in Hand.
So hat z.B. die SJ Wien zu Beginn zwar ihre Ablehnung einer Koalition mit den NEOS kundgetan, aber keine Initiative gestartet, um einen systematischen Kampf in der Partei zu führen. Und schon nach wenigen Tagen wurde die abstrakte, aber richtige Ablehnung aufgehoben, indem auf Facebook nur mehr Bedingungen an eine Koalition gestellt wurden, die selbst nur schwammig formuliert sind: „In einem Koalitionsabkommen mit den NEOS muss sichergestellt werden, dass öffentliche Dienstleistungen weiterhin in kommunaler Verantwortung bleiben“.
SPÖ-NEOS wird also nicht am Widerstand der Parteilinken scheitern. Daher gilt noch mehr als zuvor: Es reicht kein kleiner Schritt nach links, sondern die Arbeiterklasse braucht ein marxistisches, sozialistisches Programm und eine revolutionäre Führung. Unterstütze uns in unserem Kampf für diese einzige echte Alternative.
(Funke Nr.188/11.11.2020)