Eine Stellungnahme der Funke-Redaktion zum Ausgang der Wahlen in Wien.
Bei den Wiener Wahlen gibt es nur einen Gewinner: die FPÖ. An die Grenze der Wahrnehmung gedrückt wurde hingegen die klassische Partei des österreichischen Bürgertums, die ÖVP. Die Ergebnisse für die SPÖ sind gemischt, während sie in den Innenstadtbezirken zulegen konnte, zeigten ihr die WählerInnen in ihren klassischen Hochburgen - den proletarischen Außenbezirken - die kalte Schulter. Nach demselben Muster verliefen die Wahlen in der Steiermark – genügend Beweislage für den Ruf nach einem politischen Kurswechsel der SPÖ in der Bundesregierung.
Bei der Wahl”party” kam nur einmal kurz Jubel auf, als Michael Häupl begleitet von Kameras erschien. Dann war die Luft aus der Wahlkampfblase heraußen, und die paar hundert versammelten ParteiaktivistInnen wandten sich der nachdenklichen Analyse zu. Wichtige Elemente dieser Aufarbeitung lieferte Häupl selbst. Das Thema Migration und Integration sei so bedeutend gewesen, weil die Wirtschaftskrise für die WienerInnen nicht so schlagend geworden sei. Hinzuzufügen wäre, dass dies die Parteistrategen selbst genau so anlegten und die soziale Frage tunlichst ausgespart haben. Im Mittelpunkt der Kampagne stand der Bürgermeister und die “Hausordnung”, an die sich alle (sprich: die Menschen mit Migrationshintergrund) zu halten hätten. Herausgekommen ist ein Doppelpassspiel zwischen Blau und Rot, und dort ist der Ball dann auch hängen geblieben. In Wirklichkeit ist die “Ausländerfrage” eine soziale Frage. Wer gegen Rassismus kämpfen will, der muss für hochwertige Ausbildung und Betreuung für Kinder und Jugendliche, leistbare Mieten, sichere solidarische Sozial- und Gesundheitssysteme und gute Kollektivverträge kämpfen. Sehr schnell würde sich das Reservoir der FPÖ-WählerInnen auf rechtsextreme Bourgeois, frustrierte HundebesitzerInnen und eingeschworene RassistInnen reduzieren.
Her mit dem Klassenstandpunkt!
Das drohende Sparpaket, das die Bundesregierung in Planung hat, wollte die SPÖ Wien bewusst nicht ansprechen. Dies gilt auch für die sozialen Probleme in der Stadt selbst (teure Wohnungen, wachsende Armut,…), was angesichts der Mehrheitsverhältnisse im Gemeinderat einer Selbstkritik gleichgekommen wäre. Da blieb der Löwelstraße nur ein Wohlfühlwahlkampf plus die Betonung, sie stehe für Recht und Ordnung in der Stadt. Die Vision eines modernen Wiens zeichnete Vizebürgermeisterin Renate Brauner, die sich eine Bundeshauptstadt voller „rauchender Köpfe statt rauchender Schornsteine“ wünscht. Und Michael Häupl glaubte, dass diese Vision bereits soweit gediehen sei, dass anders als in der Obersteiermark das Phänomen der von der Krise schwer getroffenen ArbeiterInnen, die bei den jüngsten Landtagswahlen in großer Zahl die FPÖ gewählt haben, in Wien gar nicht gegeben sei.
Konkret gesagt, die SPÖ-Führung hat nicht mehr den Anspruch das Sprachrohr der Kernschichten der ArbeiterInnenklasse zu sein und ignoriert weitgehend deren real existierende soziale Probleme. Dies entfremdet immer größere Teile der Klasse von der SPÖ, weil sie sich in zunehmendem Maße nicht mehr von ihrer traditionellen Partei vertreten fühlen. Das drückt sich in einer sehr niedrigen Wahlbeteiligung und dem Verlust von Zehntausenden Stimmen an die FPÖ aus.
Häupl ging mit guten Arbeitsmarktdaten hausieren und lobte den Wirtschaftsstandort Wien. Was er unterschlägt: in Wien gibt es 94.000 Arbeitslose. Das ist mit 8,2% unter allen Bundesländern die höchste Arbeitslosenrate mit, wobei die in AMS-Schulungen zwischen geparkten Kollegen und Kolleginnen da nicht mitgerechnet sind. Seit dem Höhepunkt der Krise geht diese Rate auch nicht wirklich zurück. Was Häupl verschweigt, ist die Tatsache, dass die einzige Beschäftigungskategorie, die seit Jahren wächst, die geringfügig Beschäftigten sind (60.000 WienerInnen verdienen unter 366 € monatlich). Er thematisiert nicht, dass die Einstiegslöhne heute um durchschnittlich 10 Prozent niedriger sind als vor der Krise. Von einer sozialdemokratischen Politik erwarten sich die Betroffenen eine konkrete Hilfe, politische und gewerkschaftliche Lösungsvorschläge und Umsetzungsversuche statt der öffentlichen Schönrederei von Makrodaten hinter denen sich das Phänomen der „working poor“ (arbeiten und ärmer werden) verbirgt.
Ähnlich stellt sich dies dar bei den Sozialsystemen und dem Bildungswesen, wo es in beiden Fällen Finanzierungsschwierigkeiten gibt. Wenn eine SPÖ diese zivilisatorischen Errungenschaften offensiv verteidigen und ausbauen würde, und dafür auch den Konflikt mit dem Kapital nicht scheuen würde, könnte die FPÖ mit ihrer rassistischen Interpretation realer Lebensprobleme nie und nimmer punkten.
Rote Zugewinne und blauer Triumph
Auch in Wien hat sich gezeigt, dass einst festgefügte Wahlmuster in Auflösung begriffen sind. Darin besteht für die ArbeiterInnenbewegung auch eine große Chance. Die Verluste der ÖVP und der Grünen in den Innenstadtbezirken und die Stärkung der SPÖ sind nicht zuletzt Ausdruck der wachsenden Offenheit von Angestellten, höher qualifizierten ArbeitnehmerInnen und Selbständigen für kollektive Lösungen ihrer sozialen Problemlagen. Die Ideologie des „freien Marktes“, dass es ein jeder schaffen kann, wurde in den letzten Jahren schwer erschüttert, daher sind heute diese „Mittelschichten“ offen für politische Angebote, die traditionsgemäß die ArbeiterInnenbewegung steht. Positiv zu bemerken ist auch, dass die politische links-rechts Polarisierung der Jugend auf der Linken von der Sozialdemokratie und nicht von den Grünen gefüllt werden konnte. Dies ist ein Auftrag an die Jugendorganisationen der ArbeiterInnenbewegung in den kommenden Wochen und Monaten sich sichtbar und kompromisslos gegen Koalitionen mit Bürgerlichen und für den entschiedenen Kampf für die Lebens- und Bildungsinteressen der Jugend einzusetzen. Dass es hier auch gegen den Willen der eigenen Partei gehen wird, ist absehbar und dafür braucht es auch ein dementsprechendes Respekt, für den die linken Strömungen in der SJ sorgen müssen.
Der Zuwachs der Sozialdemokratie in diese Wählerschichten wurde allerdings durch den Siegeszug der reaktionärsten bürgerlichen Partei, der FPÖ, in den ArbeiterInnenbezirken Wiens (wie schon vor einigen Wochen in den Industriegebieten der Steiermark) überschattet. Derartige politische Erdbeben wie in Simmering (von 60 auf 47 Prozent) oder in Kapfenberg zeigen, dass die wirtschaftliche Krise die inhaltliche Schwammigkeit und die fehlende organisatorische Stärke der ArbeiterInnenbewegung offen zu Tage treten lässt. Wir sehen einmal mehr die Ungleichzeitigkeit politischer Entwicklungen in verschiedenen Schichten der Klasse. Während heute Angestellte usw. mit bürgerlichen Ideen brechen und sich zur ArbeiterInnenbewegung öffnen, entpuppt sich der Bürgermeister in jenen Schichten der Klasse, die vom sozialen Abstieg und Verdrängungswettkampf voll betroffen sind, wie der tragische Held im Märchen “Des Kaisers neue Kleider”. Sobald jemand laut genug ruft, dass der Kerl gar nix anhat und sein feinstes Gewand aus einem Hauch Nichts besteht, ist der Damm gebrochen. So ergeht es notgedrungen der besten Wahlkampfmaschinerie, die gleichzeitig Wohlfühlen propagiert und Frieden mit dem Kapital übt. Übrig bleiben dann nur noch moralische Dampfblasen.
Rot-Grün
Die große Mehrheit der ParteiaktivistInnen wünscht nun nach dem Verlust der absoluten Mehrheit eine Koalition mit den Grünen. Der Grundgedanke ist gut: keinesfalls mit der ÖVP ins Boot, und wir würden hinzufügen nur ein offensiv vorgetragener Bruch der Großen Koalition im Bund wird die Position der ArbeiterInnenbewegung stärken. Dennoch: die SPÖ ist in Wien nur zwei bis drei Mandate von der Absoluten entfernt und hat neben sich zwei geschwächte bürgerlichen Parteien und eine FPÖ, die bei den Wahlen tief in die ArbeiterInnenklasse vorgedrungen ist und nun Rücksicht nehmen muss, diesen neu gewählten sozialen Rückhalt nicht sofort wieder zu verlieren. Dass Politik nicht in erster Linie das Geschäft der gewählten Institutionen ist, ist seit den Bankenrettungspaketen bekannt. Wir sind überzeugt, dass eine SPÖ, die sich einer offensiven Umverteilungspolitik zugunsten der ArbeiterInnenklasse und der Jugend verschreibt und von den Organisationen der Klasse (angefangen bei den Gewerkschaften bis hin zu den Jugendorganisationen) aktiv unterstützt wird, Mehrheiten in der Gesellschaft und dann auch im Wiener Rathaus finden wird. Diese Politik zu erkämpfen sollten sich linke Genossen und Genossinnen zur Aufgabe stellen. Die Idee, dass sich die SPÖ in einer Koalition mit den Grünen quasi selbst erneuert und ihre zahlreichen Fäden mit dem Kapital freiwillig durchtrennt, spricht gegen jede Erfahrung solcher Konstellationen. Vor und nach der Wahl bleibt die Aufgabe der MarxistInnen in der ArbeiterInnenbewegung die selbe: Wir kämpfen kompromisslos für ein Programm im Sinne der ArbeiterInnenklasse!