Das Kunstforum Wien stellt noch bis 31. Jänner 2016 Kunst der russischen Avantgarde aus. Mathias Baumgart war dort und berichtet.

In einer groß angelegten Ausstellung widmet sich das Kunstforum Wien derzeit einem Thema, dem die Forschung bisher wenig Beachtung geschenkt hat: KünstlerInnenpartnerschaften in der Moderne, bei denen sich die Zusammenarbeit nicht auf ein altbackenes Muse/Genie-Verhältnis reduziert, sondern auf einem gleichberechtigten Produktionsprozess beruht. Es ist kein Zufall, dass die Ausstellung ihren Fokus dabei speziell auf die KünstlerInnen der russischen Avantgarde zwischen Jahrhundertwende und Oktoberrevolution bis zum Beginn des Stalinismus in den 1930er Jahren legt. Schließlich wurden nach dem Ende der Zarenherrschaft neue Gesellschaftsformen und –modelle erprobt, die unter anderem die Gleichstellung von Mann und Frau vorsahen und sich insbesondere auch im Kunstbetrieb bemerkbar machten.

Die Ausstellung legt dabei glücklicherweise wenig Wert auf eine allzu offensichtliche Gegenüberstellung von “männlicher” und “weiblicher” Kunst, sondern präsentiert die Arbeiten – hauptsächlich Malerei und Grafiken – geschlechtsunabhängig und immer im Doppelpack. So finden sich in einem Raum Werke von Natalja Gontscharowa und Michail Larinow, im nächsten jene von Olga Rosanowa und Alexej Krutschonych, ohne dass sofort offensichtlich wird, welche Hälfte der Partnerschaft sich für welche Bilder verantwortlich zeigte. Bei näherer Betrachtung wird dann auch die gegenseitige Einflussnahme sichtbar, die in diesen Partnerschaften zu fruchtbaren Ergebnissen geführt hat.

Die KuratorInnen Heike Eipeldauer und Florian Steininger haben diesbezüglich den Spagat zwischen der Präsentation von publikumswirksamen “Must sees” und zuvor wenig Bekanntem geschafft. Natürlich sind die obligatorischen konstruktivistischen Kompositionen von Alexander Rodtschenko zu sehen, auch die zukunftsweisenden Designs von Alexander Wesnin dürfen nicht fehlen. Gerade auf Künstlerinnenseite aber dürften viele Werke bislang von der Präsentation ausgespart worden sein. Am interessantesten wird es jedoch, wenn die Synergien der Partnerschaften sichtbar werden, etwa in den verspielt-ironischen Fotokollagen von Rodtschenko und seiner Frau Warwara Stepanowa.

“Liebe in Zeiten der Revolution” befasst sich gleichzeitig auch mit dem zweiten Teil des Titels. Durch die nahezu chronologische Hängung zeichnet die Ausstellung die Entwicklung der russischen Avantgarde im Großen nach, die bei der Adaptierung von westeuropäischen Stilen wie Kubismus und Futurismus beginnt und über den Versuch der Befreiung der Malerei von ihrer Abbildungsfunktion hinaus bis zur Produktionskunst – einer angewandten Kunst, die sich am gesellschaftlichen Leben orientiert – und dem funktional-konstruktivistischen Design nach der Revolution läuft.

Spannend ist hierbei zu sehen, wie avantgardistische Kunst in einem progressiven Gesellschaftsklima ihr Schaffen nicht als Selbstzweck betrieb oder eine rein kritisierende Funktion ausübte, sondern ihren Auftrag zunehmend in der aktiven Gestaltung der Gesellschaft sah. Ljubow Popowa und Wesnin etwa schufen im Geiste der Vereinigung von Kunst und Leben – ein typischer Anspruch der gesamtwestlichen Avantgarde – Entwürfe für aufwendige Volkstheaterproduktionen und Paraden, Stepanowa und Rodtschenko wiederum Entwürfe für Arbeits- und Freizeitkleidung des “neuen Menschen”, die in ihrer Skurrilität ihrer Zeit voraus waren.

Bei der Vermittlung dieser Zusammenhänge geizt die Ausstellung nicht mit Information, die hier zur Gänze gar nicht wiedergegeben werden kann. Dass es zu fast jeder zweiten Arbeit eine ausführliche Tafel gibt, ist sicher gut gemeint, allerdings verbringen BesucherInnen dadurch wohl mehr Zeit mit dem Lesen als dem Betrachten der Bilder. Letztlich werden Interpretationsmöglichkeiten und Bedeutungsebenen öfters vorweggenommen, was eine unvoreingenommene Rezeption erschwert.

Positiv ist allerdings hervorzuheben, dass man bei der historischen Kontextualisierung nicht der üblichen Geschichtsschreibung des inhumanen, die bürgerliche Freiheit unterdrückenden Kommunismus nachgegangen ist, sondern klar zwischen progressiven und destruktiven Kräften in dem revolutionären Prozess unterscheidet. So wird einem im letzten Teil der Ausstellung bewusst, dass die russische Avantgarde ihrem fortschrittlichen Anspruch nicht gerecht werden konnte und der Degeneration der Sowjetunion – eine Folge ihrer internationalen Isolation – nachgeben musste. Das KünstlerInnenpaar Valentina Kulagina und Gustav Klutsis waren bis in den Stalinismus hinein für viele ikonische Propagandamotive verantwortlich, und obwohl Klutsis aus Zwang sogar von einem abstrakten zu einem figurativen, wirklichkeitsnahen, Formenvokabular zurückkehrte und damit dem sozialistischen Realismus den Weg bereitete, fiel er selbst den Säuberungen Stalins zum Opfer.


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