Der Film „Die göttliche Ordnung“ beschäftigt sich mit der Einführung des Frauenwahlrechts in der Schweiz 1971. Bruno Pegrovic und Agnes Pegger haben sich ihn für uns angesehen.
Die Schweiz ist ein Land, das hierzulande neben Schoggi, Nazigold und diversen Produkten der Feinmechanik am ehesten noch mit Liberalismus und der direkten Demokratie assoziiert wird. In politischen Diskussionen in Österreich taucht die Schweiz des Öfteren als Vorbild auf, was die Rolle von Volksabstimmungen im politischen System betrifft. Doch es gibt auch die Kehrseite, den Konservatismus und die Bigotterie des kleinen Alpenlandes, die dieser Film am Beispiel des Frauenwahlrechts in den Vordergrund stellt. Jenes wurde auf Bundesebene erst in den 70er Jahren eingeführt und endgültig erst Anfang der 90er Jahre mit der Annahme im Kanton Appenzell-Innerrhoden durchgesetzt.
Stadt, Land, Frust
Anfang der Siebziger scheint man jedoch von dieser und jedweder Neuerung im beschaulichen Appenzell noch meilenweit entfernt. Der Film zeigt eine (noch) intakte, rückständig-konservative Welt. Der Mann geht in die Miliz, arbeitet auf die nächste Beförderung hin und lebt sein Leben als geachtetes Mitglied der dörflichen Gemeinde. Die (übrigens kopftuchbewehrte) Frau ist sein Anhängsel, das sich um Hof, Heim und die Familie kümmert. Rechtlich wird diese Position dadurch abgesichert, dass der Mann die alleinige Verfügungsgewalt über Frau und Kinder hat. Falls jetzt einige die Schweiz als besonders rückständig abstempeln wollen: In Österreich wurde diese Form der Benachteiligung erst 1975 abgeschafft.
Zentrales Thema des Films ist die himmelschreiende Ungerechtigkeit gegenüber den Frauen und den Kindern, die diese scheinbare Dorfidylle quasi durchzieht und von der die Hauptakteure des Films unterschiedlich betroffen sind. Nora (Marie Leuenberger) will wieder arbeiten gehen, doch ihr Mann Hans (Maximilian Simonischek) lässt das nicht zu. Nach und nach emanzipiert sie sich von der erstickenden familiären Enge, die noch von einem Stiefvater als Haustyrann „ergänzt“ wird, und wird zu einer Vorkämpferin des Frauenwahlrechts und der Rechte der Frauen im Dorf. Es gelingt ihr, einige MitstreiterInnen um sich zu sammeln: Vroni (Sibylle Brunner), die als ehemalige Wirtin durch den Leichtsinn ihres verstorbenen Mannes ihren Gasthof verloren hat, die anfangs eher mit Befremden aufgenommene neue Pächterin des Dorfgasthofes (Marta Zoffoli), die Italienerin ist und ihren Gasthof als Veranstaltungsort zur Verfügung stellt und Noras Schwägerin Theresa (Rachel Braunschweig), deren Familie an den Anforderungen des ordentlichen Dorflebens zerbricht und die in der politischen Arbeit ein Mittel sieht, um vergangene Fehler wieder gut zu machen. Es wird deutlich, wie wichtig es ist, selbst in so einem kleinen Rahmen MitstreiterInnen zu haben, und so gelingt es ihnen nach und nach den konservativen Block der dörflichen Gemeinschaften aufzutauen und mehr und mehr Menschen auf ihre Seite zu ziehen.
Was man dem Film zugutehalten muss, ist, dass er keine Schwarz-Weiß-Malerei betreibt und keiner für sich den wirklich Bösen darstellt. So wird deutlich, dass auch die Männer des Dorfes unter der patriarchalen, althergebrachten Ordnung zu leiden haben. Noras Schwager zerbricht daran, dass er den väterlichen Hof übernehmen muss und gibt diesen Frust an seine Familie weiter. Noras Ehemann wird auf der Arbeit von seinen Arbeitskollegen wegen seiner Frau gehänselt bis hin zum handfesten Streit und auch ihre Kinder leiden in der Schule darunter, dass ihre Mutter bald als „Emanze“ im Dorf verschrien ist. Der Mikrokosmos des Schweizer Dorfes zeigt hier die enge, erstickende Verknüpfung von sozialer Kontrolle und Unterdrückung in allen Bereichen, die im Dorf allgegenwärtig ist und von der diejenigen Menschen, die auf dem Land aufgewachsen sind oder dort wohnen, sicherlich ein Liedchen singen können.
Der Feind in den eigenen Reihen
Gegenspieler im abschmelzenden Block der konservativen Kräfte des Dorfes stechen jedoch auch im Film heraus. Zuerst der bigotte Schwiegervater als pantoffelbewehrter Patriarch, der sich anfangs von vorne bis hinten bedienen lässt, von der guten alten Zeit der Männerherrschaft schwärmt, allen damit in den Ohren liegt, aber heimlich Sexheftchen liest. Er verliert nach und nach an Einfluss, bis er am Schluss zur Genugtuung des Zusehers selbst Hausarbeit verrichten muss. Ein weiterer Antagonist ist eine gewisse Frau Wipf, die zur Dorfkamarilla zählt und der das örtliche Sägewerk gehört. Neben ihrer Tätigkeit in Dorfvereinen leitet sie den Verein gegen die Verpolitisierung der Frau, der gegen das Frauenwahlrecht polemisiert und den von der Natur vorgesehenen Platz der Frau als „Stimme des Herzens“ in der göttlichen Ordnung propagiert. Sie steht stellvertretend für die konservativen, weiblichen GegnerInnen des Wahlrechts aus der herrschenden Klasse, die sich mit der damaligen herrschenden Ordnung gut arrangiert hatten, selbst von ihr profitierten und durch eine Veränderung im politischen Gefüge einen Verlust ihrer sozialen Stellung befürchteten.
Am Ende des Films kommt auch noch der Dorfpfarrer in der gewohnten Rolle als Prediger der „göttlichen Ordnung“ auf die Leinwand. Beim Begräbnis einer Frau des Dorfes versucht er sie als brave biedere Hausfrau darzustellen, die sich nie beschwert hätte und immer wusste wo ihr Platz in der Gesellschaft war und wie eine Frau ihrem Mann zu dienen hat. Dies führt zu vehementen Widerspruch von Noras Seite, die klarmacht welch katastrophale Folgen die Benachteiligungen der Frau in der Gesellschaft für das Leben der Verstorbenen hatte, und warum der Kampf dagegen deshalb ihr gemeinsames Anliegen ist.
Das Private ist politisch!
Der Kampf gegen den konservativen Block im Dorf wird mit vielfältigen Mitteln geführt. Besuche in der Stadt wirken wie ein Katalysator für die Tätigkeit daheim: So bekommt Nora in Zürich feministische Broschüren und Infos über das Wahlrecht ausgehändigt, die sie daheim im Selbststudium liest und die ihr eine Basis für ihre weitere Loslösung vom konservativen Mief verschaffen. Dies beschränkt sich aber nicht nur auf den politischen Kampf um das Frauenwahlrecht, sondern sie schafft es auch sich privat mehr zu emanzipieren. Auch die Teilnahme an einer feministischen Demonstration und einem Workshop über weibliche Sexualität festigt den Block der Mitstreiterinnen, die sich so weiter radikalisieren. So gelingt es den Frauen im Dorf trotz Widerständen Versammlungen abzuhalten. Nachdem eine Infoveranstaltung durch den Druck der anwesenden konservativen Mehrheit floppt, kommen die Frauen auf die Idee einen (Hausfrauen-)Streik zu starten. Dieser verläuft sehr erfolgreich, fast alle Frauen des Dorfes beteiligen sich, und die einmal etablierte Solidarität und Veränderung kann auch nicht durch die Auflösung des Streiks durch eine Gruppe von Ehemännern und einen Schicksalsschlag gebrochen werden. Diese Solidarität erweist sich letzten Endes auch als erfolgreich: Das Frauenwahlrecht wird mit knapper Mehrheit der Männer auch im Dorf angenommen. Hier wäre es möglich gewesen einen weiteren spannenden Punkt in den Film einzubringen: Was bedeutet die Einführung des Wahlrechts für das soziale und politische Gefüge im Dorf? Welche Veränderung brachte es mit sich? Fragen die Angesichts des etwas zu holzschnittartigen Endes -der Film kumuliert rund um die Annahme des Wahlrechts als „Happy End“- und des etwas zu nostalgischen Fokus auf die Siebziger leider unbeantwortet bleiben.
Dennoch, zwei große Qualitäten zeichnen „Die göttliche Ordnung“ unserer Meinung nach aus. Erstens zeigt er sehr gut die enge Verknüpfung von ökonomischen, politischen, sozialen und kulturellen Faktoren, die am flachen Land dazu beitragen, dass politische Bewegung in die Verhältnisse kommt. Nora will bspw. nicht nur arbeiten und damit sich von ihrem Mann wirtschaftlich unabhängig machen, sondern fällt -neben der Politik- auch von ihrem Auftreten und Aussehen her, zunehmend aus dem Rahmen des Landlebens. Zweitens gelingt es der Regisseurin Petra Volpe im Film nicht nur sehr gut viele zusammenhängende und doch unterschiedliche Themen anzusprechen, sondern auch wie diese zusammenhängen. Von der sexuellen Einöde im Ehebett bis zum Generationenkonflikt, wo die Rockmusik der Siebziger schon die Appenzeller Bauernstuben erzittern lässt; von der damaligen ökonomischen Abhängigkeit der Frauen bis zur biedermeierlichen Allmacht in der Familie kommt alles vor, ohne jedoch zwanghaft und gekünstelt in den Vordergrund gespielt zu werden. Die Handlung bleibt in sich logisch, die Figuren glaubwürdig, und jedeR der/die in der Provinz groß geworden ist, leidet mit den ProtagonistInnen mit, wenn sie gegen überholte Verhältnisse und die sture Behäbigkeit und Borniertheit ihrer DorfnachbarInnen anrennen. Dieser Film sei jedem, der für die Rechte der Frauen einsteht und/oder politisch in der Provinz vor sich dümpelt besonders ans Herz gelegt.