Österreich ist ein Land, in dem Kultur als Teil der nationalen Identität betrachtet wird und das jedes Jahr hunderttausende Touristen anzieht, um in die zahlreichen und renommierten Veranstaltungen des Landes einzutauchen. Der Violinist Gabriele Toscani beleuchtet die Hintergründe der Kulturproduktion.

 Die Salzburger Festspiele, die Innsbrucker Festwochen der Alten Musik, die Bregenzer Festspiele, die Styriarte, das Internationale Jazzfestival Saalfelden, die Opernfestspiele St. Margarethen usw. wurden abgesagt oder reduziert und dies lässt tausende Beschäftigte arbeitslos zurück. Für die gerade angesagten großen Stars ist das kein großes Problem. Ein Star (Valerij Giergiev, Zubin Mehta, Cecilia Bartoli, usw.) bekommt pro Auftritt 40.000-50.000 €. Aber die Masse des großen Kunst-Proletariats hat Stundensätze von ca. 20€ bis 30€ oder Dienste (3 Stunden) von ca. 60€ bis 100€ und ist aktuell seit Wochen ohne Arbeit und Einkommen. Es sind nicht nur die KünstlerInnen betroffen, sondern alle ArbeiterInnen, die hinter dem Vorhang von Theatern, Festivals und allen künstlerischen Veranstaltungen arbeiten.

Denn beinahe alle KünstlerInnen und die Mehrheit der TechnikerInnen, Billeteure, SaaldienerInnen etc. sind freischaffend. Nur eine sehr kleine Minderheit der MusikerInnen schafft es, in ein Orchester mit fixer Anstellung aufgenommen zu werden. Wenn eine solche Ausschreibung stattfindet, finden sich dutzende bis hunderte MusikerInnen ein, um am Vorspiel für einen oder zwei Orchesterplätze teilzunehmen. Der zweite Preis bei einem solchen Vorspiel ist es, für Projekte in Evidenz gehalten zu werden. Das heißt die Mehrheit von uns arbeitet und lebt von Projekt zu Projekt. Wir arbeiten auf Basis von Einzelverträgen (Werkvertrag oder Dienstvertrag). Wenn wir nicht für Festivals oder Theater arbeiten, erfolgt unsere Bezahlung meist schwarz und überhaupt ohne schriftlichen Vertrag. In meiner Sparte etwa, der Alten Musik, gibt es 400 aktive MusikerInnen in Österreich, und kein Einziger/keine Einzige von uns hat eine feste Anstellung mit sozialen Rechten. Obwohl wir eine sehr spezifische Ausbildung haben und viel Zeit und Geld in Üben und unsere Instrumente fließt, sind unsere Stundensätze sehr niedrig. Wir nehmen das was uns angeboten wird, es ist nicht üblich den Preis unserer Leistung zu verhandeln.

In den letzten Monaten gab es gar keine Arbeit und wir lebten von unserem Ersparten, Unterstützung durch Familie und Freunde und den 500€, die wir von der WKÖ bekamen. Weil die Beantragung nicht sehr einfach war, etablierten wir eine solidarische Hilfe zur Antragstellung, und jetzt sind wir dabei, die geknüpften Beziehungen zu vertiefen und uns Gedanken zu machen, wie wir unsere Situation generell verbessern können.

Festivals first

Die allgemeine Unzufriedenheit im Kunst- und Kultursektor bezüglich der verantwortungslosen Politik der ehemaligen Staatssekretärin Ulrike Lunacek führte zu ihrem Rücktritt und die heiße Kartoffel wurde an Andrea Mayer weitergegeben. Mayer verkündete während einer Pressekonferenz am 25. Mai eine teilweise Wiedereröffnung künstlerischer Veranstaltungen. Alles zielt auf eine größere Eröffnung ab dem 1. August ab, mit der Möglichkeit, Konzerte mit bis zu 1.000 Personen in der Öffentlichkeit abzuhalten. Dies kommt natürlich den großen Veranstaltern zugute, die so nicht das gesamte investierte Geld verlieren.

Die Präsidentin der Salzburger Festspiele Helga Rabl-Stadler sieht sich selbst als „Eisbrecherin“ der Kulturveranstalter. Tatsächlich ist sie bestens politisch vernetzt, und war eine der ersten die von der neuen Kulturstaatssekretärin zu einem Gespräch eingeladen wurde. Auf der Website der Salzburger Festspiele wurde zu Beginn des Jahres der Verkauf von 180.000 Tickets im Wert von 24,5 Mio.€ angegeben, dazu kommen Sponsoren und öffentliche Subventionen. Der Vorstand der Salzburger Festspiele arbeitet an einem neuen Konzertprogramm ab 1. August, das noch nicht bekannt gegeben wurde. Sicher ist jedoch, dass die Musiker Innender verschiedenen Ensembles im Vergleich zu den Stars, die als Solisten oder Dirigenten eingeladen werden, weiter vernachlässigbar bezahlt werden. Es gibt nichts Schlechtes zu sagen über das Talent und den persönlichen Verzicht, die erbracht wurden, um an die Spitze der Pyramide zu gelangen. Aber wir sollten uns daran erinnern, wer das Fundament dieser Spitzenleistungen bildet, wer das ganze Gewicht des Kulturbetriebes trägt: eine große Anzahl von unterbezahlten, rechtlosen, prekär beschäftigten MusikerInnen und RaumtechnikerInnen.

Weil die aufgestaute Wut des Kunst-Proletariats bereits so groß war und verschiedenste Initiativen Proteste organisieren verkündete Mayer am 28.5. auch eine halbjährige Unterstützung für arbeitslose KünstlerInnen und MusikerInnen von Anfang Juli bis Jahresende. Der Kreis der Anspruchsberechtigten beträgt 15.000 (so viele sind bei der Sozialversicherung der Selbstständigen (SVS) als Künstler versichert) und jeder Antragsberechtigte kann bis zu 6.000 € erhalten, was eine deutliche Verbesserung zur bisher angebotenen einmaligen Zahlung von 500 € ist.

Rechte, nicht Almosen

Es ist an der Zeit, uns zu vereinen, zu diskutieren und zu mobilisieren und zu benennen, was unsere Rechte sind. Wir stellen fest, dass sich allen Behauptungen der Kulturnation zum Trotz, niemand in der Bundesregierung intensiv mit den Verbesserungen der Produktionsbedingungen der Kulturschaffenden befasst hat. Im Schatten der großen Veranstalter und Stars werkt ein namens- und rechtloses Kunst-Proletariat, das den gesamten Sektor auf seinen Schultern trägt. Doch wir sind dabei uns eine eigene Stimme zu geben.

(Funke Nr. 184/3.6.2020)


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