Das neue Buch von ATTAC-Mitbegründer Christian Felber mit dem Titel „Die Gemeinwohlökonomie“ hat Vera Kis unter die Lupe genommen.
Christian Felber geht völlig richtig von der Feststellung aus, dass unsere Welt nicht nur von wirtschaftlichen Krisen geplagt wird, sondern damit zusammenhängend auch von sozialen Krisen, Umweltzerstörung, sowie einer Demokratie-, einer Sinn- und einer Wertekrise. Dies führt er korrekterweise auf die Struktur unseres Wirtschaftssystems zurück. Wenn der maximale Profit (oder Finanzgewinn) das oberste Ziel wirtschaftlicher Tätigkeit ist, bleiben Mensch und Umwelt auf der Strecke. Die kapitalistische Wirtschaft fördert bei den Menschen vor allem Egoismus, Geiz, Gier, Rücksichts- und Verantwortungslosigkeit. Hier stimmen wir mit Felber überein.
Gemeinwohlökonomie
Die „Gemeinwohlökonomie“ soll eine Alternative zu Markt- und Planwirtschaft darstellen, es ist der erneute Versuch eines “dritten Weges”. Der Weg dorthin wird von Felber nur vage argumentiert. Hier fallen Schlagwörter wie “Demokratisierung”, “Mitbestimmung der Beschäftigten und KonsumentInnen”, “Übergang zum Genossenschaftswesen” etc. Zentral ist für Felber die „Umpolung der Anreizstruktur“. Wo heute Egoismus herrscht, dort sollten in Zukunft Kooperation und Solidarität begünstigt werden. Zu diesem Zweck entwickelte attac mit verschiedenen Unternehmen eine „Gemeinwohlbilanz“. Diese soll messen, wie gut oder schlecht sich eine bestimmte wirtschaftliche Tätigkeit auf Umwelt, Demokratie, Menschenwürde, Gleichberechtigung der Geschlechter etc. auswirkt. Je besser das wirtschaftliche Projekt für Mensch und Umwelt ist, desto mehr sollte es vom Staat und von einer noch zu errichtenden „Demokratischen Bank“ belohnt werden- mit billigen Krediten, weniger Steuern etc. Die „Demokratische Bank“ und der Staat erhalten hiermit eine Lenkungsfunktion für die Wirtschaft und sollen das Gute (Zusammenarbeit, soziales Verhalten etc.) im Menschen fördern. Nun stellt sich aber die Frage, wie wir zu so einer Situation kommen sollten?
Kapitalismus und Klassenherrschaft
Felber fordert eine zentrale Kontrolle über das Bankwesen, die Mitbestimmung der Beschäftigten und KonsumentInnen, sowie die Verstaatlichung von Großbetrieben, weil diese Maßnahmen vernünftig seien. Man solle auf die Unternehmen zugehen und ihnen erklären, dass es höhere Werte als Geiz und Gier gibt. Er meint, dass man die Unternehmen nur überzeugen müsste, weil große soziale Ungleichheit die Demokratie gefährdet. Tatsache ist aber, dass die KapitalistInnen von den Ungerechtigkeiten profitieren und kein Interesse daran haben werden, ihre privilegierte Position freiwillig aufzugeben. Wenn, wie wir aufgrund der Erfahrungen aus der Geschichte vermuten können, Felbers noch so vernünftige Argumentation nicht ausreicht, dass die UnternehmerInnen auf den Genuss ihrer Dividenden und Erträge verzichten, wird sich aber auch seine Vision einer Gemeinwohlökonomie nicht durchsetzen lassen.
Solange sich die Produktionsmittel nämlich in Privatbesitz befinden, solange werden die einzelnen Unternehmen in Konkurrenz zueinander stehen und solange wird auch der Profit das zentrale Kriterium sein. Das ergibt sich logisch aus der Struktur der kapitalistischen Wirtschaft, da die Unternehmen, die nicht genügend Profit erwirtschaften, Bankrott gehen oder von anderen übernommen werden. Das menschenverachtende und die Umwelt schädigende Verhalten vieler Konzerne ergibt sich nicht aus dem Fehlverhalten einzelner Individuen oder falschen Wertvorstellungen. Privateigentum an den Produktionsmitteln (d.h. Kapitalismus) beinhaltet auch, dass einige wenige von ihrem Eigentum leben können, d.h. von der Arbeit anderer. Kapitalismus bedeutet immer auch, dass den Lohnabhängigen nicht der volle Wert der von ihnen geschaffenen Produkte ausbezahlt wird, und diese Ausbeutung die Grundlage für den Profit darstellt. Diese Frage ignoriert Felber. Er will einen Kapitalismus ohne seine Konsequenzen. Es ist schlicht utopisch die Grundlagen des Kapitalismus, das Privateigentum an den Produktionsmitteln, intakt zu lassen und rein deren negative Auswirkungen abzulehnen.
Dasselbe Problem ergibt sich beim Thema der Kontrolle der Finanzmärkte. Finanzmarkt und Spekulation ergeben sich ganz natürlich aus dem Kapitalismus. Als Folge der Wirtschaftskrise der 1970er wurden die Möglichkeiten für spekulative Tätigkeiten erweitert. Diese sind für die Mehrheit der Bevölkerung nutzlos, ja sogar schädlich. Die Spekulation wurde aber genau deshalb ermöglicht, um ein neues, rentables Anlagegebiet für Kapital zu schaffen, da in der Realwirtschaft die Profitraten zu gering waren.
Weg zur „Gemeinwohlökonomie“
Die Konzentration des Kapitals in den Händen weniger Banken und Großbetriebe führt aber nicht nur zu einer ungerechten Wirtschaftsweise, sie garantiert den Besitzenden auch genug Einfluss in der Politik, damit an diesen Zuständen nichts geändert wird. Die „obersten Zehntausend“ sitzen nicht nur in den Aufsichtsräten der Großunternehmen, sie finanzieren zudem die politischen Parteien, sind als Werbekunden unverzichtbare Finanziers der Medien und beeinflussen über Lobbying die Regierungen und EU-Stellen bei der Erstellung von Gesetzesentwürfen. Wer eine Gemeinwohlökonomie errichten will, muss diese Macht brechen. Wie das bewerkstelligt werden soll, kann uns Christian Felber allerdings nicht einmal ansatzweise verraten. Gegen die Macht der KapitalistInnen steht nur die Vernunft seiner Argumente – zu wenig, wie wir behaupten! Der Funke hält dagegen, dass einzig die organisierte ArbeiterInnenbewegung in der Lage ist, genug Druck auszuüben und eine gesellschaftliche Veränderung zu erzwingen. Als Beschäftigte in den Großbetrieben sitzt sie an den Quellen der Macht und kann durch Streiks und Betriebsbesetzungen die herrschende Ordnung zum Einsturz bringen, um den Weg für eine Reorganisierung der Wirtschaft basierend auf Formen der ArbeiterInnenkontrolle und –verwaltung zu ebnen. Das macht eine demokratische Planung entsprechend der Bedürfnisse der Menschen erst möglich. Erst auf dieser Grundlage könnte auch eine „demokratische Bank“ umgesetzt werden, die Projekte, die großen sozialen Nutzen stiften bzw. die Umwelt schonen, besonders unterstützt.
Der umgekehrte Weg aber, dass einzelne, kleine Unternehmen beginnen moralisch vorbildhaft zu handeln und so zum Vorbild für den Rest der Wirtschaft werden, ist reine Utopie und wird unter kapitalistischen Rahmenbedingungen immer ein Randphänomen sein. Das Problem von Felbers Modell zeigt sich auch darin, dass die von attac gefeierten Unternehmen, die das Projekt unterstützen, sich momentan auf 95 Unternehmen aus Österreich, Schweiz und Deutschland beschränken und in ihrer großen Mehrheit nur zwei oder drei Beschäftigte haben. Vor kurzem ging Felber selbst an die praktische Umsetzung zum Aufbau einer „Demokratischen Bank“. So will er 10 Millionen Euro aufbringen, die dann als „nachhaltiges Risikokapital“ profitbringend investiert werden sollen. Diese Bank wird genauso auf Kapitalrendite angewiesen sein wie es ähnliche Projkete von genossenschaftlich organisierten Banken in der Vergangenheit waren.
Felber spricht zentrale Probleme wie Armut, Umweltzerstörung usw. an und führt sie auf die herrschende Wirtschaftsweise zurück. Er versucht auf dem Reißbrett ein Zukunftsmodell zu entwerfen und wird dabei sehr konkret: wie der Aufsichtsrat der „Demokratischen Bank“ besetzt werden könnte, wie die Zinspolitik einer solchen Bank und wie ein neues Wechselkurssystem zugunsten der sog. „Entwicklungsländer“ aussehen könnte und vieles mehr. Darin ähnelt Felbers Vision jener der Frühsozialisten Owen, Proudhon u.a. In den zentralen Punkten aber bleibt Felber vage. Er schwindelt sich um die zentralen Fragen herum: Er erklärt keinen realistischen Weg zu seiner „Gemeinwohlökonomie“ und beantwortet die Frage des Privateigentums an den Produktionsmitteln nicht definitiv. Darüber hinaus spricht er immer nur von den Interessen der Gesellschaft. Durch den Versuch im Namen der Vernunft für die gesamte Gesellschaft sprechen zu können, beraubt er sich selbst des wichtigsten Werkzeugs für die Analyse der Gesellschaft: der Frage der Klassen und den daraus abgeleiteten sozialen Interessen. Er versucht hingegen die Herrschenden mit vernünftigen Argumenten zu überzeugen und ist diesbezüglich keinen Schritt weiter als die Frühsozialisten, die von Marx und Engels mit Recht als Utopisten bezeichnet wurden.
Felbers Konzepte werden gern gelesen, weil sie den Anschein erwecken, dass dadurch ein völlig neuer, undogmatischer Weg zur Weltverbesserung beschritten wird. In Wirklichkeit sind sie aber nicht viel mehr als alter Wein in neuen Schläuchen.