Die soziale Frage und der Klassenkampf sind mit einem Knall auf die Bühne der österreichischen Gesellschaft zurückgekehrt. Mehr als 100.000 Menschen demonstrierten am Samstag gegen das Gesetz zu 12-Stunden tägliche und die 60-Stunden wöchentliche Höchstarbeitszeit. Ein Bericht der Funke-Redaktion.

Es war schon am frühen Nachmittag klar, dass die Demonstration sehr groß werden würde: Schon vor dem eigentlichen Start war der Christian-Broda-Platz, der Startpunkt der Demonstration, völlig überfüllt, die neu ankommenden wurden von der aufgebauten Bühne herab immer wieder aufgefordert, weiter in die Mariahilferstraße vorzurücken. Auch als der Demonstrationszug pünktlich startete, kamen noch weitere TeilnehmerInnen an. Letztendlich waren so viele Menschen gekommen, dass der Demonstrationszug in zwei Teile geteilt wurde, um dafür zu sorgen, dass alle Menschen in absehbarer Zeit auf den Heldenplatz gelangen konnten, wo die Schlusskundgebung stattfand. Trotzdem waren immer noch nicht alle Demonstrierenden losgegangen, als die Spitze des Demozuges auf dem Heldenplatz eintraf!

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Die Arbeiterklasse mobilisiert

So wurde auch die erste „Schätzung“ der Polizei, dass etwa 25.000-30.000 an der Demonstration teilgenommen hatten, von den auf dem Heldenplatz versammelten Massen mit Gelächter und wütenden Buh-Rufen quittiert. Der Bundesgeschäftsführer der Fraktion Sozialdemokratischer GewerkschafterInnen (FSG), Willy Mernyi, ließ sich zur Aussage hinreißen, dass wenn diese Zahlen stimmen würden, er „Kickl heißen will“. So korrigierte die Polizei diese unhaltbaren Zahlen noch nach oben und sprach am Ende des Tages von 80.000 TeilnehmerInnen. Der ÖGB selbst verkündete von der Bühne herunter eine Teilnehmerzahl von 120.000, was der Wahrheit sicherlich viel näher kam.

Die Demonstration war so eine wirkliche Machtdemonstration der organisierten Arbeiterklasse in Österreich. Wir erinnern uns: Erst vor 2 ½ Wochen wurde das Gesetz als Initiativantrag direkt nach dem ÖGB-Bundeskongress ins Parlament eingebracht, um im Eilverfahren durchgepeitscht zu werden, wenn für viele schon der Urlaub beginnt, der vor Wochen oder Monaten gebucht wurde. Und erst vor gut 1 ½ Wochen gab der ÖGB-Präsident Wolfgang Katzian bekannt, dass es am 30.06 eine Großdemonstration dagegen geben würde.

Wir müssen festhalten: Das ist die größte Demonstration seit fast genau 15 Jahren! Es ist kein Zufall, dass dies außerdem die erste allgemeine Massenmobilisierung anhand einer sozialen Frage in dieser Zeit war, zu der die Gewerkschaftsbewegung aufgerufen und aktiv mobilisiert hat. Die 15 Jahre, in denen keine solche Demonstration der Macht und der Solidarität stattfand, waren damit wohl selbst das größte Hindernis in einer noch viel breiteren Mobilisierung. In einem Teil der Arbeiterklasse herrscht Zynismus; individuelle Lösungen für Probleme waren in dieser Periode scheinbar die einzige Möglichkeit, das eigene Leben halbwegs erträglich zu halten. Sehr viele arbeiten individuell härter und länger, um mit Überstundenzuschlägen doch noch den Kredit abzahlen zu können. Aber auch giftige politische Antiausländer- und speziell flüchtlingsfeindliche Parolen fielen auf fruchtbaren Boden in einer Situation, in der die Arbeitslosigkeit ständig stieg. Zynismus gegenüber der Gewerkschaftsbewegung und den „Roten“, die nichts gegen die sich verschlechternde Situation machen, machte sich oft breit. „Ich hackel eh schon oft 12 Stunden am Tag, was sagt‘s ihr dazu“ war nicht selten die Antwort, als wir für die Demo mobilisierten.

So lässt sich auch erklären, dass viele der TeilnehmerInnen an der Demonstration ältere ArbeiterInnen waren, die oft gewerkschaftlich organisiert waren und so einen Bindungspunkt zu der Tradition solidarischer Kämpfe haben. Andererseits sind auch sie es, die beim gnadenlosen Druck der längeren Arbeitszeiten am meisten zu verlieren haben, wenn sie nicht mehr mitkommen. Doch es war auch die Beteiligung einer ganzen Reihe jüngerer ArbeiterInnen sichtbar, von denen viele sicherlich das erste Mal auf einer Demonstration waren. Das darf allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Mobilisierung sehr unterschiedlich erfolgte. In einigen Betrieben und Regionen war sie sehr gut, in anderen schlecht oder gar nicht vorhanden. In einer ganzen Reihe von Großbetrieben fanden keine Betriebsversammlungen statt, oder sie waren nur symbolischer Natur, weil Betriebsräte der Ansicht waren, dass „wir ja gut auskommen im Betrieb“. Diese KollegInnen leben in der Vergangenheit und müssen entweder überzeugt werden, einen anderen Kurs einzuschlagen, oder sie müssen ausgetauscht werden. So oder so, in allen Betrieben ist es absolut notwendig, dass KollegInnen sich in Aktivgruppen zusammenschließen – auch dort wo die Betriebsräte kämpfen wollen, dürfen sie nicht alleine gelassen werden.

Insgesamt gesehen war die Demonstration aber auf jeden Fall ein großer Weckruf und Befreiungsschlag für die Arbeiterklasse. Das spiegelte sich in der sehr guten, streckenweise enthusiastischen Stimmung wieder, die auf der gesamten Demonstration herrschte. Dieser Tag war ein Tag der massenhaften Politisierung und des Eintretens einer neuen Schicht an ArbeiterInnen in die Arena des Kampfes – und die werden sie nicht mehr schnell und einfach verlassen!

Die Basis für diesen Erfolg ist sicherlich in der aufgestauten Wut zu finden, die schon lange unter der relativ ruhigen Oberfläche der österreichischen Gesellschaft brodelt. Das wurde auf der ganzen Demonstration deutlich, vor allem auch bei den Reaktionen auf die Abschlussreden. Am besten kamen direkte Angriffe auf Kurz und Strache sowie jede Ankündigung eines entschlossenen Kampfes an. Als der Vorsitzende der Post-Gewerkschaft, Köstinger, ganz zu Beginn der Abschlusskundgebung davon sprach, dass diese unsoziale Regierung gestürzt werden müsse, wurde das mit lautstarkem Jubel der Anwesenden aufgenommen, obwohl sich zu diesem Zeitpunkt der größte Teil der Demonstration noch auf dem Weg befand.

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Sturz der „demokratisch gewählten Regierung“?

Nach einem sogleich erfolgten Aufschrei der Presse und der Regierungsparteien über die Aussicht, dass die organisierte Arbeiterklasse eine bürgerliche Regierung entfernen könnte, fühlten sich weitere Redner dazu verpflichtet, diese Aussage zu relativieren. Wolfgang Katzian sprach so davon, dass der ÖGB jede demokratisch gewählte Regierung akzeptieren würde, wenn auch nicht automatisch deren Maßnahmen. Er und andere RednerInnen appellierten vor allem an die Bundesregierung und mahnten ein, auf den Boden der Sozialpartnerschaft zurückzukehren.

Doch Köstinger hat Recht mit seiner Aussage und sollte sich nicht von den hysterischen Aufforderungen der Bürgerlichen beeindrucken lassen, seine Aussage zurückzunehmen. Wie kann man von einer „demokratisch gewählten Regierung“ sprechen, wenn sich Kurz und Strache nur mit Lügen und Betrug über ihre eigentlichen Absichten in diese Position hieven konnten? Wirklich demokratisch wäre es, die Bevölkerung nicht nur alle fünf Jahre über die Köpfe abstimmen zu lassen, die sie nach Strich und Faden verarschen!

Das Wort Demokratie kommt aus dem Altgriechischen und bedeutet „Herrschaft des Volkes“. Wenn ein Volk und im speziellen die Arbeiterklasse, die allen Reichtum in der Gesellschaft produziert, mit seiner Regierung die ihre Interessen nicht verfolgt unzufrieden ist, ist es also die allerdemokratischste Maßnahme, so eine Regierung zu stürzen. Dass dies in unserer „Demokratie“ als völlig abseitig gilt zeigt nur, dass „Demokratie“ im Kapitalismus nichts anderes bedeutet als die Diktatur der Banken und Konzerne.

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Wie weiter?

Für uns ist es klar, dass wir dieses Wiedererwachen des Klassenkampfes in Österreich mit voller Kraft unterstützen. Endlich heißt die Antwort auf einen Angriff nicht mehr, einen Kompromiss des „kleineren Übels“ zu finden! Doch damit das so bleibt, gilt es jetzt die richtigen Schlüsse aus dieser erfolgreichen Demonstration zu ziehen – und dieser Hunger nach dem Verständnis für den richtigen Weg nach vorne war vor Ort generell spürbar. Bezeichnend dafür war, dass sehr viele der Demonstrierenden die ganze Abschlusskundgebung über blieben und sich alle reden genau anhörten.

Viele RednerInnen nahmen dabei Bezug auf die wirkliche soziale Realität in den Betrieben. Roman Hebenstreit, Chef der Eisenbahner- und Dienstleistungsgewerkschaft Vida etwa sprach davon, dass er das „Geschwafel der Regierung wegen Freiwilligkeit“ nicht mehr hören könne. Eine ganze Reihe von ArbeiterInnen, vom Pflasterer, über die Verkäuferin und den Fleischer bis zur Büroangestellten wurden auf die Bühne geholt, um aus ihrer Arbeitsrealität zu erklären was ein 12 Stunden Tag bedeuten würde. Das ist ein richtiger und wichtiger Schritt, um den angesprochenen Zynismus und Individualismus in Teilen der Arbeiterschaft zu bekämpfen. Nach Jahren, in denen die soziale Realität ein Randthema war, solange ÖGB-VertreterInnen in den Ministerien ihrer „Einbindung“ in der Zeit der Großen Koalition sich sicher sein konnten, werden jetzt tatsächlich die schlechten Bedingungen in den Betrieben zum Politikum. Die soziale Frage rückt wieder in den Mittelpunkt.

Doch dass sich die Diskussion ändert, reicht alleine genommen nicht aus. Es kommt darauf an, den Kampf jetzt entschlossen zu führen. Es sprachen auch einige RednerInnen auf der Abschlusskundgebung relativ unverhohlen von Arbeitskampf. Das Wort „Streik“ wollte ihnen allen allerdings nicht über die Lippen gehen. Das zeigt ein Problem auf, das weiterhin herrscht – das Problem der Orientierung des Kampfes. Letztendlich wollen Katzian, Muchitsch und andere GewerkschaftsführerInnen, und das haben sie auch explizit betont, dass die Gewerkschaftsbewegung wieder in die Entscheidungsfindung der Regierung eingebunden werden kann. Dahinter schwingt die Hoffnung mit, so vielleicht die gröbsten Kanten der Gesetzgebung glattrasieren zu können und den „sozialen Frieden“ nicht zu gefährden. Kurz: Eine Wiederherstellung der „Sozialpartnerschaft“.

Doch das verkennt die Lage, in der wir uns befinden, völlig. Es ist die Regierung, die den sozialen Frieden endgültig aufgekündigt hat. Und das hat sie nicht zufällig getan, aus Bosheit oder aus Unwissen, sondern weil es für ihr Klientel absolut notwendig ist. Die Kapitalisten, vor allem die Industriellen, brauchen den Generalangriff auf die Rechte der ArbeiterInnen, um sich selbst so „fit für die nächste Krise“ zu machen. Das ist nicht verhandelbar. Daher ist es gefährlich, sich der Illusion hinzugeben, dass es einfach wieder so wie früher werden könnte. Der Angriff der Regierung muss mit einem festen Gegenschlag der Arbeiterbewegung beantwortet werden, der ohne angezogene Handbremse geführt wird! Die Regierung greift jetzt an, also muss eine Antwort auch jetzt erfolgen. Deswegen titelte der Funke auf der Ausgabe, die direkt zur Demonstration erschienen ist auch folgendermaßen: „12-Stunden-Tag zurückschlagen. Streikfreigabe JETZT!“ Diese Ideen stießen auf reges Interesse: Insgesamt verkauften 54 AktivistInnen des Funke an diesem Tag 1079 Zeitungen auf der Demonstration und in den Zügen und Bussen dort hin. Wir hoffen, so einen Beitrag zu den kommenden Debatten über den richtigen Kurs liefern zu können.

Das Gesetz soll noch diese Woche im Parlament beschlossen werden. Sebastian Kurz hat sich unter Druck der Demonstration offen positionieren müssen und klargestellt, was Sache ist: Es gibt keine Verhandlungen mehr zum 12-Stunden Tag, das Gesetz wird durchgedrückt! Die letzten Illusionen, dass die Regierung sich von großen Mobilisierungen und Demonstrationen der Stärke beeindrucken lassen wird, sollten somit vom Tisch sein.

Bei den ÖBB und in einigen anderen Betrieben werden auch diese Woche Betriebsversammlungen mit Warnstreikcharakter stattfinden. Das ist ein Schritt in die richtige Richtung und zeigt die Macht, die die Arbeiterklasse hat: Alle Räder stehen still, wenn dein starker Arm es will! Doch auch das wird nicht ausreichen, um die Regierung aufzuhalten. Wir müssen der Regierung und ihren Sponsoren wirklich wehtun, und das wird nur durch Streiks gehen. Die wirtschaftliche Macht der ArbeiterInnen in diesem Land ist enorm, gerade in der jetzigen Zeit der vollen Auftragsbücher würde es nicht viel brauchen, um das zu schaffen. Wenn etwa die ÖBB eine Woche stehen, bricht die gesamte Produktion zusammen. Und die Möglichkeiten wären da, das schon jetzt, vor dem Beschluss des Gesetzes zu organisieren, auch wenn die Bedingungen nach Ferienbeginn in einigen Bundesländern nicht ideal sind.

Die Gesamtstrategie der Gewerkschaftsführung ist es im Moment, eine Zuspitzung des Kampfes im Herbst zu führen, wenn die Bedingungen besser sind. Das bedeutet: Es wird einen langen und ausdauernden Kampf brauchen. Letztendlich wird aber auch dieser letztendlich mit der Frage enden: Wir oder sie? Die schwarz-blaue Regierung ist fest entschlossen, bis zum Schluss ihr Programm durchzufechten. An Helmut Köstinger anschließend sagen wir daher entschlossen: Wir!

Diese Entschlossenheit spiegelte auch unser lauter und sehr kämpferischer Block auf der Demonstration wieder: Über hundert Jugendliche und ArbeiterInnen nahmen daran teil und skandierten laut Slogans von „Was macht der Regierung Dampf? Klassenkampf, Klassenkampf“ über „Hoch die Internationale Solidarität“ bis hin zu „Streik in der Schule, Streik in der Fabrik, das ist unsere Antwort auf eure Politik“ und „One Solution – Revolution!“. Wir sind überzeugt davon, dass die Arbeiterbewegung eine sozialistische, revolutionäre, das heißt eine marxistische Orientierung braucht, um die kommenden Kämpfe siegreich zu beenden. Daher rufen wir alle, die diese Ideen teilen oder mehr darüber erfahren wollen: Tritt mit uns in Diskussion, werde bei uns aktiv und hilf uns, der Arbeiterklasse das Programm zu geben, das sie braucht um zu siegen!

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Presseschau von unserem Auftreten auf der Demonstration:

Im "Standard"

In der "Presse", sowie hier


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