Die Mobilisierung gegen den 12-Stunden Tag und die Regierung läuft auf Hochtouren. Doch in der Frage der Sozialpartnerschaft herrscht Unklarheit. Dies kann unsere Niederlage einleiten, argumentieren Emanuel Tomaselli und Hannah Ernst.


Am 18. Juni feierte die Industriellenvereinigung ihr Sommerfest im exquisiten Kursalon Hübner. Auf Initiative linker Gewerkschafter und Sozialdemokraten wurde mit einer Kundgebung vor dieser ausgefallenen Location der Startschuss für den Protest gegen den 12-Stunden Tag gegeben.


Die Industriellen feierten auf der Terrasse bei Sekt und kleinen Häppchen, während ein paar Meter davor hunderte GewerkschafterInnen und linke AktivistInnen lautstark demonstrierten. Später wird behauptet werden, dass ein Polizist bei dieser Kundgebung von einem Knallkörper verletzt wurde – eine mediale Erfindung, die der dieser Tage völlig verhassten Industriellenvereinigung positive Imagepunkte bringen sollte.
Plötzlich stand Wiens neuer Bürgermeister Michael Ludwig zwischen den DemonstrantInnen und schüttelte Hände. Es war kein Zufall, dass er vor Ort war. Michael Ludwig war nämlich von der Industriellenvereinigung geladen, Grußworte an die versammelten Wirtschaftsbosse zu richten. In seiner Presseaussendung skizzierte er seine Botschaft: „Die Sozialpartnerschaft ist eine der tragenden Säulen unserer Republik. Sie muss heute mehr denn je gestärkt werden und nicht geschwächt (…) Natürlich wünsche ich mir, dass Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertreter zunächst auf Augenhöhe versuchen, partnerschaftlich eine Lösung zu finden. Dieses Miteinander ist der Grundstein für den Erfolg unserer Republik. Davon sollten wir nicht abgehen. Sozialpartnerschaft gehört täglich gelebt, so wie wir das in Wien auch tun und nicht nur in Sonntagsreden gepriesen. Wir in Wien haben ein gutes Einvernehmen mit den ArbeitnehmerInnenvertretern, Gewerkschaften und der Arbeiterkammer.“


In einem Interview mit dem „Kurier“ vertritt auch SPÖ-Vorsitzender Kern dieselbe Position: „Am Ende schadet das Österreich. Ich bin davon überzeugt, alles was wir erreicht haben, hat damit zu tun, dass wir einen Ausgleich gefunden haben, dass die, die den Erfolg erwirtschaften - die Mitarbeiter und die tüchtigen Unternehmen - die sollen beide was davon haben. Und wenn man das jetzt reduziert, dann haben wir irgendwann italienische oder französische Verhältnisse mit Streiks. Und ehrlich gesagt, ich war mal im Vorstand der Industriellenvereinigung. Wenn ich dort noch eine Stimme habe, dann würde ich dem Präsidenten darauf hinweisen, dass er da nicht im Interesse seiner Mitglieder agiert.“


In diesen Statements wird der Standpunkt der Führungen der Sozialdemokratie und auch der Gewerkschaften gut auf den Punkt gebracht. Es ist weniger die Tatsache, dass die Angriffe wie der 12-Stunden Tag für die Lohnabhängigen und ihre Familien schieren Wahnsinn bedeuten. In erster Linie geht es den Spitzenfunktionären darum, mit am Verhandlungstisch zu sitzen, einen Interessensausgleich herzustellen und somit Ruhe im Land zu haben. Wenn die Spitzen von Kapital und Arbeiterklasse im kleinen Kreis zusammensitzen und so zu einem „Kompromiss“ kommen, dann ist das Resultat in den Augen von Wolfgang Katzian, Renate Anderl und Christian Kern die bestmögliche aller Welten gesichert.


Wenn in der letzten Woche auf den Betriebsrätekonferenzen betont wurde, dass der ÖGB von Anfang an gewusst habe, dass diese Regierung massive Angriffe plant – dann möchten wir jetzt folgende Frage nachschieben: „Warum ließ man die Gewerkschaftskongresse verstreichen, ohne einen Kampfplan zur Diskussion zu stellen?“ Warum ließ sich man sich vom Bundeskanzler vorführen und desorganisieren? Der frisch gewählte ÖGB-Präsident streckte diesem asozialen Pack namens Bundesregierung in seiner Antrittsrede die Hand zum Dialog aus, sprach davon, sich nun bei Regierung und Sozialpartnern vorzustellen und dann zu überlegen, was weiter zu tun sei. Während dessen saß Bundeskanzler Kurz dumm grinsend im Parlament, brachte in einem Initiativantrag den 12-Stunden Tag ein, die Wirtschaftskammer ging mit ihrer Werbekampagne in die Öffentlichkeit.


Die Antwort ist einfach: Man hoffte im ÖGB bis zuletzt, dass man mit dieser Regierung über den Sozialabbau verhandeln dürfe, dabei gelte es nur die ärgsten Kanten abzuschleifen. Und wenn unsere Spitzen mitreden dürfen, dann muss die Basis schweigend warten. So lautet die über Jahrzehnte eingelernte Gepflogenheit namens „Sozialpartnerschaft“.


Die Frage der „Augenhöhe“, also des „Mitverhandelns“ einer neuen Arbeitszeitregelung wird auch nach der öffentlichen Desavouierung durch die Regierungsspitze ständig weiter erhoben. Vor der Demo am 30. Juni betonen die Spitzenfunktionäre die soziale Frage, um so ihren Beitrag zum Erfolg der Mobilisierung zu leisten. Doch die Erfahrung lehrt, sobald es auch nur den kleinsten Anhaltspunkt ergibt, wird das „sozialpartnerschaftliche Mitgestalten“ jeden Kampfeswillen übertünchen.


Diese Orientierung schwächt die Mobilisierung der Bewegung gegen den 12-Stunden Tag. Ausgestattet mit der Perspektive, dass eine sozialpartnerschaftliche „Normalität“ wiederhergestellt wird, erfolgt die gesamte Mobilisierung mit angezogener Handbremse. Es gilt die KollegInnen wieder schnell zu demobilisieren, wenn auf der obersten Ebene wieder was geht – Demonstrationen, selbst riesige wie der 30. Juni, sind nur ein weiteres Argument, um an den Verhandlungstisch zu kommen. Damit wird aber auch verhindert, dass abseits von den noch gut organisierten Betrieben die Bewegung überhaupt richtig durchstartet.

Um was kämpfen wir?

Viele KollegInnen sagen dieser Tage, dass in ihren Betrieben schon heute 12 Stunden und mehr gearbeitet wird, diktatorische Bedingungen und permanente Überforderung herrschen. Dementsprechend finden sie, dass der jetzige Aufschrei der Gewerkschaft viel zu spät komme. Unsere Losung kann daher nur sein, um reale Verbesserungen der Arbeitsbedingungen zu kämpfen – eine komplette Schubumkehr ist nötig. Kein fauler Kompromiss, bei dem im Sinne der Sozialpartnerschaftlichkeit die ein oder andere Verschlechterung von der Gewerkschaft doch in Kauf genommen wird, sondern ein kompromissloser Kampf gegen die Ankündigungen der Regierung und für allgemeine Verbesserungen am Arbeitsplatz.


Wir finden dies muss der Ausgangpunkt und Endpunkt dieser Mobilisierung sein: Nein zu jeder Verschlechterung – gehen wir in die Offensive. Der Ruf nach Verhandlungen auf Augenhöhe hingegen bereitet die nur nächste Verschlechterung vor – und dafür lohnt es sich nur zu kämpfen, wenn man ein spezifisches Interesse hat, mit der Industriellenvereinigung und Wirtschaftskämmerern gut Freund zu sein.


Es wird sich im weiteren Verlauf der Auseinandersetzung mit der Regierung an einem Punkt herausstellen, dass sich beide Ideen – Abwehr weiterer sozialer Verschlechterungen und das Ringen um die Sozialpartnerschaft – sich unversöhnlich gegenüberstehen. Was man jetzt tun kann ist dies: Das Ziel der Bewegung in den Betriebsversammlungsresolutionen, Reden und Beschlüssen unmissverständlich festzulegen; wir kämpfen um nicht mehr und nicht weniger, als jede Verschlechterung zu verhindern. Angefangen bei der gesetzlichen Regelung der Arbeitszeit.

Dieser Artikel erschien erstmals am 27.6.2018 im Funke Nr.165


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