Wir veröffentlichen den Bericht eines US-amerikanischen Genossen über den beeindruckenden Streik des Krankenpflegepersonals in Minnesota (USA).
Weder das Regenwetter noch das Aufgebot an Sicherheitskräften hielten etwa 12.000 Krankenpflegekräfte in Minnesota davon ab, am 10. Juni 2010 einen eintägigen Streik in 14 verschiedenen Spitälern in den Twin Cities (Minneapolis und St. Paul, Anm. d. Ü.) abzuhalten. Die Minnesota Nurses Association (Vereinigung der KrankenpflegerInnen Minnesotas, MNA), Teil der neu gegründeten National Nurses United (Nationale KrankenpflegerInnenvereinigung), stimmte mit überwältigender Mehrheit für den Streik, nachdem die Spitalsbetreibenden sich weigerten, auch nur auf einen einzigen der vom Personal vorgebrachten Verhandlungsvorschläge zu antworten. Es war der größte KrankenpflegerInnenstreik der Geschichte in den USA. Ein Solidaritätsstreik seitens 13.000 kalifornischer KrankenpflegerInnen war geplant, jedoch von einem Richter in San Francisco letztlich untersagt worden.
National Nurses United machte Schlagzeilen und gewannen seit der Gründung vor sechs Monaten bereuts 155.000 Mitglieder. Das gelang, indem sie strittige Themen wie das Personal-PatientInnen-Verhältnis oder die Mitgliedermobilisierung offensiv aufgriffen. Das steht in direktem Widerspruch zur American Nurses Association (Amerikanische KrankenpflegerInnenvereinigung) wie auch zum fast gesamten Rest der gewerkschaftlich organisierten Arbeitskraft, wo innerorganisatorischer Streit und Kuschelkurs mit den Bossen immer mehr vorherrschen. Leider scheinen viele nicht verstanden zu haben, dass zwischen diesen beiden Erscheinungen ein Zusammenhang besteht.
Die Hauptthemen, die das Krankenpflegepersonal der Twin Cities betreffen, sind Personal- und Pensionskürzungen. Wie bei allen Beschäftigten versuchen auch hier die Bosse, in der Krise des Kapitalismus mehr Produktivität aus weniger Leuten herauszupressen. Im Ergebnis sind die Spitäler personell unterbesetzt, weniger Personal muss mehr PatientInnen versorgen und mehr Verantwortung tragen, da die technologische Komplexität steigt und zunehmend mehr BabyboomerInnen ins System gelangen. Im Gegensatz zur herrschenden neoliberalen Wirtschaftslehre werden die Löhne bei steigender Produktivität tatsächlich geringer. Obwohl die Pensionen der KrankenpflegerInnen nur etwas mehr als 1% des Jahreseinkommens ausmachen, wird von ihnen verlangt, Kürzungen hinzunehmen und geringe oder gar keine Lohnerhöhungen zu akzeptieren. Und das, während die Spitäler 2009 Gewinne von 700 Millionen US-Dollar schrieben.
Wir konnten uns an den Streikposten der KrankenpflegerInnen beteiligen und so unsere Solidarität als Mitglieder der Workers International League und der Communication Workers of America – Newspaper Guild, local 37002, innerhalb derer wir organisiert sind, ausdrücken. Die Stimmung unter den Streikenden war heiter und optimistisch. Viele sprachen davon, dass sie nie besonders politisch waren oder auch nur gewerkschaftlich aktiv, doch die Ereignisse haben das verändert.
Eine Krankenschwester beklagte die Tatsache, dass die Spitalsverwaltung es ihr unmöglich mache, ihre PatientInnen ordentlich zu versorgen und bezeichnete die „hierarchische Struktur“ als „Klassensystem“. Sie erzählte weiters, dass die Spitäler zunehmend „verwalteter“ werden und dass „Profite und Gesundheitsfürsorge nicht Hand in Hand gehen. Das ist das Wesen dieses Monsters. Es ist, als wollte man Hosen als T-Shirt tragen oder T-Shirts als Hosen.“
Sie war keineswegs eine „radikale“ Sozialistin oder auch nur Gewerkschaftsaktivistin. Das waren die Worte einer gewöhnlichen Krankenschwester, betrübt darüber, dass sie und ihre KollegInnen zu bloßen Zahnrädern in dieser profitorientierten Maschinerie reduziert werden. Sie erklärte, dass sie nicht streiken wollte und dass es eine schwierige moralische Entscheidung für sie war, die PatientInnen den Händen einer nochmals reduzierten Belegschaft von StreikbrecherInnen, ÄrztInnen und Verwaltungskräften zu überlassen, doch es stand zuviel für sie und künftige KrankenpflegerInnen auf dem Spiel, um nicht zur Tat zu schreiten.
Doch obwohl die Spitalsbetreibenden tausende Dollar für diesen einen Tag Arbeit boten, konnten sie nur einen Teil der offenen Stellen ersetzen. Ironischerweise mussten viele ÄrztInnen mehr Arbeit direkt an den PatientInnen verrichten, etwas, wofür die KrankenpflegerInnen gekämpft hatten. Die Öffentlichkeit war überwiegend unterstützend – es wurden Hupen betätigt und Fäuste in die Höhe gestreckt, eine schwangere Frau kam sogar heraus, ergriff eine Parolentafel und trug sie solidarisch ins Krankenhaus hinein.
Trotz allem zeigen die Spitalsbetreibenden keinen Willen zur Verhandlung. Sie sperrten vielfach am nächsten Tag Krankenpflegepersonal von den Arbeitsplätzen aus und beschuldigten sie, „ihre PatientInnen allein zu lassen“. Ein Gewerkschaftsaktivist wurde sogar physisch von den Sicherheitskräften hinausgeworfen und musste sich in die Notfallaufnahme des Spitals begeben.
Das Management versteht seine Interessen und kämpft vereint um die Niederlage der KrankenpflegerInnen. Die gewerkschaftlich organisierte Arbeit in Twin Cities muss es ebenso machen und der MNA im Kampf den Rücken stärken. Die Gewerkschaften müssen die Öffentlichkeit mobilisieren, um die Vorstandsetagen der Spitäler unter Druck zu setzen.
Die MNA hat zu 84% für einen unbefristeten Streik gestimmt sowie für die baldige Aufnahme von Verhandlungen. Schwester Ashley Christensen sagt zur Autorisierung des Streiks: „Die Spitäler haben uns ins Eck gedrängt. Die Antwort ist Flucht oder Angriff. Wir müssen kämpfen.“
Nichtsdestotrotz steht die Führung der MNA unter Druck, die Drohung eines tatsächlich unbefristeten Streiks bis Ende Juli vom Tisch zu bringen; sie hat daher signalisiert, offen für Verhandlungen über gewisse Forderungen zu sein. Doch die militante Stimmung und die breite Unterstützung für das Krankenpflegepersonal sollte die Gewerkschaft ermutigen, solchen Zugeständnissen zu widerstehen und für ihre gerechten Anliegen zu kämpfen. Ein Sieg in Minnesota kann der Wendepunkt nach der Serie von Niederlagen und Zugeständnissen der Gewerkschaftsbewegung in den letzten Jahren werden und zum Beispiel für den ganzen Gesundheitssektor und andere Werktätige im Land werden.
Graeme Anfinson, Workers International League
Übersetzung: Gerlinde Kosits