Wenn ein Innenminister einer 12-jährigen übers Fernsehen ausrichten lässt, der Grund für ihre verzweifelte Lage sei das Fehlverhalten ihrer Mutter, dann sind Empathie und Kindeswohl schon längst vorher abgeschoben worden. Ähnlich ausgeliefert fühlen sich viele Kinder und Jugendliche in der Pandemie: Ungehört, unwichtig und als Spielball der Politik. Rebellion ist notwendig meint die Kinder- und Jugendpsychotherapeutin Lis Mandl.

Krisen und deren Bewältigung gehören zum Alltag und sind ein wichtiger Teil des menschlichen Entwicklungsprozesses. Für eine gesunde Verarbeitung von Krisen braucht es das ungebrochene Gefühl der Selbstbestimmtheit und der Selbstwirksamkeit sowie die innere emotionale und kognitive Einordnung der jeweiligen Geschehnisse. Wut und Trauer gehören zum Heilen, jeder Liebeskummer beweist das. Wenn allerdings keine der üblichen Reaktionsmuster zu greifen scheinen und man einer Situation hilf- und schutzlos ausgeliefert ist, beginnen die traumatischen Verletzungen. Ein massiver Eingriff in die psychische Immunität mit schwerwiegenden Folgen.

Nach einem Jahr Pandemie schreit die Kinder- und Jugendpsychiatrie auf: Schwere Fälle von Depressionen, Angststörungen und sogar suizidalem Verhalten nehmen innerhalb der Jugend rasant zu. Die junge Psyche reagiert auf die gesellschaftliche Situation und ist im Aufstand. Die Bettenkapazität der Kinder- und Jugendpsychiatrien hat schon längst das kritische Maß überschritten. Dabei muss erwähnt werden, dass die eklatante Unterversorgung im kinder- und jugendpsychiatrischen Bereich seit vielen Jahren ein Dauerthema ist. Wartezeiten bei kassenfinanzierten PsychiaterInnen und PsychologInnen/PsychotherpeutInnen von bis zu sechs Monaten sind die Norm. Einen Platz in einer geeigneten Einrichtung zu bekommen, ist ein Glückstreffer. Auf dem Land ist die Situation noch katastrophaler.

Auf dem Rücken der Jugend

Die Regierung hat in der Pandemiebekämpfung die Arbeitswelt als Clusterproducer bewusst außer Acht gelassen, damit die Wirtschaft weiterlaufen kann. Die wirklich einschneidenden Covid-Maßnahmen trafen andere Bereiche: Bildung, Kunst und Kultur und die private Ebene. Amtliche Hinweise, wie überschüssige Wohnungszimmer und der Garten im Homeschooling und Homeoffice genutzt werden können, zeigen wie weit verantwortliche PolitikerInnen sich von der Alltagsrealität des Durchschnitts entfernt haben.

AlleinerzieherInnen oder Eltern von Kindern mit besonderen Bedürfnissen sind keine politische Überlegungen wert. Die permanente Überforderung der Familiensysteme führen zu Anspannungen, Verzweiflung und Aggressionsausbrüchen – unschuldige Leidtragende sind dabei Kinder und Jugendliche.

Mehrfach haben wir schon beschrieben, wie wenig Geld und Ressourcen in das Bildungssystem investiert wurde, um trotz Pandemie den Schulbetrieb aufrechtzuerhalten. Weder personell, noch bei den Räumlichkeiten, noch den Sicherheitsvorkehrungen wurde was getan. Selbst der Distanz-Unterricht wurde auch nach dem Sommer stets nur improvisiert. Der ständige Zick-Zack-Kurs der Regierung zwischen Lockdown und Aufsperren verstärkt die Unsicherheitsgefühle und nimmt das Vertrauen in die Zukunft. Diese Versäumnis nimmt den SchülerInnen nicht nur ihre individuelle Zukunftsgrundlage, sondern zeigt auch auf, wie wenig Wert sie (gesellschaftlich) haben. Den SchülerInnen wird sowohl die Mitsprache verweigert als auch jegliche Gestaltungsmöglichkeit genommen. SchülerInnen werden aufs Abstellgleis gestellt, deren Leben fährt allein weiter. Diese Message ist angekommen. Und obendrauf gab es Tadel an den „unverantwortlichen Partyjugendlichen“, vor allem an solche migrantischer Herkunft. Diese Schuldzuweisungen wirken kollektiv und lösen einerseits (v.a. bei Kindern) starke Ängste als auch Resignation (Rückzug) und Aggression (Abgrenzung) aus.

Vom zoom apathicon zum zoon politicon

Der Mensch braucht ein soziales Gegenüber. Nur so kann er Mensch sein, bleiben und sich entwickeln. Gerade für Jugendliche, die sich mit der pubertären Abgrenzung ein neues und selbstbestimmtes soziales Umfeld schaffen, ist der gemeinsame Austausch neben der schulischen oder beruflichen Erfahrung die identitätsstiftende Säule der Persönlichkeitsentwicklung. Diese Stütze wurde den Jugendlichen ersatzlos gestrichen. Das kollektive Leiden einer ganzen Generation ist auch dem Fehlen eines politischen Faktors geschuldet, der die individuellen Gefühle auf eine gemeinsame Handlungsebene zu bringen vermag.

In der Traumatherapie nimmt die Resilienzforschung einen wichtigen Stellenwert ein. Resilienz bedeutet die Fähigkeit, sich trotz schwerer Lebensbedingungen und Schicksalsschläge nicht unterkriegen zu lassen, trotz widriger Umstände zu wachsen. Es bedeutet ein gesichertes Vertrauen, das eigene Leben selbst im Griff zu haben und zu bestimmen. Das Verlassen der zugewiesenen „Opferrolle“, Freundschaften sowie soziale Netzwerke gehören zu den wichtigen Resilienzfaktoren. Die SchülerInnen der Wiener Stubenbastei haben mit ihrem beherzten Protest gegen die Abschiebung ihrer Kollegin gezeigt, wie ein gesunder Weg aus der Krise aussehen kann. Zusammenreden, organisieren und für die gemeinsamen Interessen kämpfen. Sie sind die Zukunft der kommenden Welt!

(Funke Nr. 191/17.2.2021)


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Workshop: Eine 'verlorene Generation'?

BuR WSjugend

Milliarden wurden von der Bundesregierung für die Erhaltung der Profite der großen Banken und Konzerne lockergemacht. Für Schule und Universität blieb hingegen nichts übrig. Dadurch nimmt die Belastung junger Menschen noch mehr zu und der Prozess der Aussiebung im Bildungssystem wird verschärft. Die Zukunft der heutigen Jugend kümmert die Regierung kein Stück. Das spiegelt nur den allgemeinen Niedergang des Kapitalismus wider, der in den letzten Jahren nichts als Krisen hervorgebracht hat und keine Perspektive mehr bietet.

Doch viele Jugendliche ziehen immer häufiger den Schluss, dass man für eine bessere Zukunft und gegen dieses System kämpfen muss. Die Massenbewegungen rund um Black Lives Matter oder Fridays for Future sind nur ein Vorgeschmack auf das, was die herrschende Klasse in den kommenden Jahren noch erwarten wird.

In diesem Workshop wollen wir am Beispiel des Bildungssystems in Coronazeiten analysieren, wie die Krise des Kapitalismus die Jugend betrifft und eine revolutionäre Alternative skizzieren.


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