In Österreich waren im August 422.910 Menschen arbeitslos, eine Quote von 9%. Das sind fast 100.000 mehr als vor einem Jahr. Im Moment kommen damit rechnerisch auf jede angebotene Stelle 5,6 Arbeitssuchende. Es braucht ein sozialistisches Programm gegen Arbeitslosigkeit, zeigt Florian Keller.
Die immer höhere Arbeitslosigkeit ist dabei alles andere als ein „konjunkturelles“ Problem. Vor Beginn der Krise 2008/2009 gab es noch 100.000 Arbeitslose weniger als vor Beginn der jetzigen Krise. Das heißt, dass sich die Zahl der Arbeitslosen in den letzten 11 Jahren fast verdoppelt hat. Das zeugt von einer chronischen Massenarbeitslosigkeit, die Erholungsphasen zum Trotz immer weiter gestiegen ist. Ein immer größerer Teil der Bevölkerung wird durch das kapitalistische System zu dauerhaftem Nichtstun und Einkommenslosigkeit verurteilt: 200.000 ArbeiterInnen haben in den letzten Monaten die Suche nach Lohnarbeit überhaupt aufgegeben (und sind daher auch in keiner Statistik).
Doch selbst diese erschreckenden Zahlen sind nur ein Teil der Wahrheit. Denn zu den Arbeitslosen kommen noch einmal ca. 450.000 Beschäftigte, die sich in Kurzarbeit befinden. Diese können in den derzeitigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen nicht „normal“ profitabel beschäftigt werden.
- Lest hier eine Kritik an dem Arbeitszeitverkürzungs-Modell der SPÖ und des ÖGB
- Lest hier über Vorschläge, wie man Werksschließungen bekämpfen kann, am Beispiel der ATB Spielberg
Was ist Kurzarbeit?
Kurzarbeit ist im Grunde eine zeitlich begrenzte Arbeitszeitverkürzung, deren Kosten sich Arbeiter und Staat teilen. Die Unternehmen zahlen mit der derzeitigen Regelung die Arbeitsstunden und anteilig die Sozialversicherung, Urlaubs- und Weihnachtgeld, in denen tatsächlich gearbeitet wurde. Überschlagsmäßig heißt das: Wenn z.B. 50% gearbeitet wird, zahlt der Unternehmer die 50% der Arbeitsstunden, in denen tatsächlich die Beschäftigten arbeiten. Die 50%, in denen nicht gearbeitet wird, teilen sich der Staat mit 30-40% und die Arbeiter durch den Lohnverlust von 10-20%, je nach Einkommen. Auf der anderen Seite heißt das aber auch: gäbe es die Kurzarbeit nicht, würde das Unternehmen in unserem Beispiel ungefähr die Hälfte der Beschäftigten entlassen.
Die Bundesregierung hebt hervor, dass diese Zahl stark gesunken ist – auf dem Höhepunkt im Juni befanden sich etwa 1,3 Mio. Menschen in Kurzarbeit. Nachdem jetzt die meisten spezifischen Lockdown-Beschränkungen aufgeboben sind, ist in den meisten Fällen die Wirtschaftskrise der Grund für die fortgeführte Kurzarbeit. Um ein realistisches Bild von der Tiefe der Krise zu bekommen, sollten die Kurzarbeitszahlen daher nicht mit denen im Frühjahr, sondern mit denen in der letzten Krise (2008/09) verglichen werden. Und dieser Vergleich spricht für sich selbst: damals waren am Höhepunkt der Maßnahmen gerade einmal 37.000 Beschäftigte zur Kurzarbeit angemeldet.
Die Regierung hat das Programm noch einmal bis mindestens Ende März 2021 verlängert. Kurzarbeit ist zu einem globalen Phänomen von Dauer geworden. In Deutschland wurde z.B. die Kurzarbeit gerade eben erst bis März 2022 verlängert. In Frankreich stehen ebenfalls bis 2022 25 Mrd. € zur „Förderung von Arbeitsplätzen“ bereit. Kapitalisten lassen sich also immer öfter nur noch durch enorme Bestechungsgelder dazu bringen, unsere Arbeitskraft auszubeuten.
Dabei werden die Lebensunterhaltkosten (Essen, Wohnen, …) aber nicht billiger. Zusätzlich steigen die Privatschulden steigen immer weiter an. 2017 hatten noch 16% der Menschen hierzulande einen Konsumkredit, im Mai dieses Jahrs waren es schon 29%. Und während 2017 noch 12% angaben, regelmäßig das Konto zu überziehen, waren es im Mai schon 23%. Das heißt für viele ArbeiterInnen, dass das Geld erst recht nicht mehr bis zum Monatsende reicht.
Arbeit, Lohn und Massenentlassungen: Der Druck steigt
Kurzarbeit wird auch dazu genutzt, das Arbeitstempo und den Druck auf die Beschäftigten systematisch zu erhöhen. In vielen Betrieben wird einfach dieselbe Arbeitsleistung mit einer geringeren Belegung der Abteilungen gefordert. Dazu erreichten uns Berichte aus dem Handel und der Telekommunikationssparte. Damit wird nur eine größere Entlassungswelle nach Ende der Kurzarbeit vorbereitet. Die Angst vor der Arbeitslosigkeit ist daher stellenweise so groß, dass Beschäftigte „heimlich“ länger arbeiten, um am Ende nicht den Kürzeren zu ziehen.
Während also in der Kurzarbeit die Unternehmer aus jeder einzelnen tatsächlich geleisteten Arbeitsstunde annähernd den gleichen Profit wie bisher, oder sogar noch mehr, herausschlagen können, sollen wir uns das „Team Österreich“ vom Mund absparen. Zudem ist die Beantragung von Kurzarbeit an keinerlei Bedingungen geknüpft, die die derzeitigen oder vergangenen Profite für die Eigentümer einschränken.
Die schwarz-grünen Regierung versucht also, unter allen Umständen die Profite des Kapitals aufrechtzuerhalten. Doch die Situation mit Massenarbeitslosigkeit und großem Lohnverlust auf der einen Seite sowie schamloser Profitmacherei auf der anderen Seite ist eine explosive Mischung.
Sozialpartnerschaft: The walking dead
Seit Krisenausbruch beschwört die bürgerliche schwarz-grüne Regierung wieder vermehrt den Leichnam der „Sozialpartnerschaft“, d.h. die Einbindung der Organisationen der Arbeiterklasse in die Abwicklung der Krise – aber natürlich nur dann, wenn es gerade passt. Meistens handelt es sich um eine „sozialpartnerschaftliche“ Deckung der schamlosesten Angriffe, um den Unmut der Menschen abzufedern.
Trotzdem klammern sich die Spitzen des Österreichischen Gewerkschaftsbunds (ÖGB) und SPÖ an jeden Strohhalm, den die Bürgerlichen ihnen hinhalten. Für sie ist das kapitalistische System alternativlos, und ihre Einbindung in seine Verwaltung das einzige „realistische“ Ziel. Akzeptiert man den Kapitalismus, muss man sich auch seinen Regeln und Gesetzen unterwerfen: Wer zu teuer produziert, den zerstört der Markt. Und das heißt aus Sicht der Führungen von SPÖ und ÖGB, dass in Zeiten der Krise eben auch die ArbeiterInnen der Gürtel enger schnallen müssen, wenn der „Standort Österreich“ im internationalen Wettbewerb nicht untergehen soll.
In der ersten Phase des Lockdowns lief das darauf hinaus, dass diese Organisationen die größten Verteidiger der Kurzarbeit waren und aktiv, kritiklos Werbung für sie machten. So gab es etwa einen großen gemeinsamen Aufruf der SPÖ-Vorsitzenden Rendi-Wagner und des Vorsitzenden der Gewerkschaft Bau-Holz, Muchitsch, an die Unternehmen, die „Kurzarbeit anzunehmen“. Mit der zunehmenden Einsicht, dass sich die „alte Normalität“ nicht einfach wieder einstellen würde, formulierten ÖGB und SPÖ schließlich eigene Forderungen: z.B. eine Erhöhung des Arbeitslosengeldes auf 70% des letzten Nettolohnes, eine Verlängerung der Bezugsdauer und mehr geförderte Arbeitsplätze.
Ein sozialistisches Programm gegen Arbeitslosigkeit und Lohnverlust
Kernstück der Forderungen sowohl von SPÖ, als auch ÖGB, ist jedoch eine Arbeitszeitverkürzung (die nicht zuletzt durch die Streikbewegung der SozialarbeiterInnen dieses Frühjahr in der Arbeiterbewegung Thema ist). Dabei soll eine „freiwillige Arbeitszeitverkürzung“ hunderttausende neue Arbeitsplätze schaffen (siehe Kasten). Die Forderung nach einer Arbeitszeitverkürzung ist in Zeiten der wachsenden Arbeitslosigkeit absolut richtig und kann zu einem Sammlungspunkt für verschiedene Klassenkämpfe werden. Aber: nach vorliegendem Vorschlag von SPÖ- und ÖGB-Bürokratie sollen die Arbeiter sie sich nicht nur selbst zahlen – durch den Versuch, sie im Rahmen der Sozialpartnerschaft zu „verhandeln“, anstatt den Klassenkampf zu organisieren, wird sie außerdem völlig utopisch und bleibt ohne jegliche praktische Wirkung.
Klassenkampf gegen Massenentlassungen, Betriebsschließungen und Kapitalflucht ist damit der wichtigste Eckstein im Kampf gegen Massenarbeitslosigkeit. Gerade in ländlichen Regionen kann an einem einzigen Werk die Zukunft einer ganzen Ortschaft oder Kleinstadt hängen. Ein kollektiver Widerstand wirkt auch der vereinzelnden, demoralisierenden Erfahrung der Entlassung und der darauffolgenden Arbeitslosigkeit entgegen.
Am Beispiel der ATB Spielberg sieht man den Ansatz dafür, dass Angriffe des Kapitals die Arbeiterinnen und Arbeiter zu gemeinsamen Kämpfen drängen – es gilt, wichtige Lehren hieraus zu ziehen (siehe unser Flugblatt).
Die Forderung nach einer Arbeitszeitverkürzung muss, neben der Organisierung von praktischen Kämpfen, außerdem mit der Forderung nach einem vollen Lohn- und Personalausgleich und kräftigen Lohnerhöhungen verbunden werden.
Gleichzeitig muss verhindert werden, dass die Kosten dafür nach und nach den ArbeiterInnen selbst über die Inflation wieder aufgebürdet werden. Denn auch wenn diese im Moment sehr niedrig ist, wäre es nicht das erste Mal, dass das Kapital durch Preissteigerung den Lohnabhängigen den Gewinn einer hart erkämpfte Reform wieder aus der Hand schlägt, oder die Situation sogar noch verschlechtert. Inflation ist eine reale Gefahr, da die Zentralbanken seit Jahren viel Geld in den Markt pumpen. Daher muss zusätzlich für eine automatische Anpassung aller Löhne an die Inflation gekämpft werden.
Aber letztendlich geht es um die zentrale Frage: Wer hat die Verfügungsgewalt über die Produktionsmittel, die Fabriken, Banken und Büros? Dass SPÖ und ÖGB diese nicht antasten wollen, ist ein entscheidendes Hindernis für die Arbeiterbewegung.
Massenarbeitslosigkeit und die Auswirkungen der Krise lassen sich nur mit einem sozialistischen Programm und einer sozialistischen Führung der Arbeiterbewegung bekämpfen.
Daher:
- Wenn Kurzarbeit beantragt wird, bei angedrohten Betriebsschließungen, versuchter Kapitalflucht und betriebsbedingten Kündigungen muss das Geschäftsgeheimnis aufgehoben werden. Betriebsräte, Gewerkschaften und alle Beschäftigten müssen Einblick in die Geschäftsbücher haben, um die von der Geschäftsführung behaupteten Gründe überprüfen zu können.
- Wenn in solchen Betrieben gesellschaftlich nützliche Waren und Dienstleistungen produziert werden, müssen sie verstaatlicht werden und unter der Kontrolle der ArbeiterInnen und der Gewerkschaft weitergeführt und ausgebaut werden. Gesellschaftlich unnütze oder schädliche Produktions- und Dienstleistungsbetriebe müssen durch öffentliche Investitionen umgerüstet werden. Alle Arbeitsplätze am Standort müssen erhalten bleiben.
- Die Einführung der 4-Tage-Woche, bei vollem Lohnausgleich und verbunden mit einer Erhöhung des Mindestlohns auf 1700€ Netto
- Die Einführung eines automatischen Inflationsabgleiches
- Die Mobilisierung der gesamten Arbeiterklasse (ob organisiert oder unorganisiert) für diese Ziele, indem systematisch Betriebsversammlungen, Kundgebungen, Demonstrationen und Streiks durch die gesamte Kraft von ÖGB und SPÖ organisiert werden. Wahlen sind nur ein Kampffeld und kein Selbstzweck.
- Kämpf mit uns für dieses sozialistische Programm und eine Führung der Arbeiterbewegung, die es umsetzen kann. Organisier dich bei den revolutionären Marxisten, beim Funke!
(Funke Nr. 186/ 10.9.2020)