Wir werden uns darauf einstellen müssen, dass uns die Massenarbeitslosigkeit noch lange erhalten bleibt. Sandro Tsipouras erklärt, warum das so ist und was man dagegen tun muss.

Mitte September meldete das AMS in Österreich etwas über 400.000 Arbeitslose, nachdem es Mitte April einen historischen Arbeitslosenrekord von 588.000 Personen ohne Job gab. Auch die Anzahl der Beschäftigten in Kurzarbeit ist von einem Höhepunkt von 1,3 Mio. Menschen auf knapp über 300.000 gefallen. Oberflächlich sieht es also so aus, als wäre die österreichische Wirtschaft über den Berg, hätte das Schlimmste hinter sich und sei auf einem guten Weg, die Auswirkungen der Krise hinter sich zu lassen.

Massenarbeitslosigkeit: Gekommen, um zu bleiben

Es wäre aber ein schwerer Fehler, sich von diesem oberflächlichen Schein trügen zu lassen. Denn die Anzahl von etwa 60.000 offenen Stellen, um die diese Arbeitslosen miteinander konkurrieren müssen, wird in absehbarer Zukunft nicht steigen, sondern fallen. Der Arbeitslosigkeit zu entkommen, wird nicht leichter, sondern schwieriger werden. Denn die Welle der Massenkündigungen und Standortschließungen in Österreich (wir berichten laufend) wird nicht zum Stehen kommen, sondern anwachsen. Es gibt schlicht kein einziges Land auf der Welt, in dem sich in mittelfristiger Zukunft eine Stärkung der Kaufkraft abzeichnet. Im Gegenteil: die Kündigungswelle ist global. So hat selbst der Disney-Konzern die Entlassung von 28.000 ArbeiterInnen angekündigt, Shell streicht 5000 Stellen, Airbus 15.000.

Die exportorientierte österreichische Industrie wird also auch weiterhin mit schrumpfenden Absatzmärkten im Ausland konfrontiert sein. Wenn niemand Waren kaufen kann, macht es auch keinen Sinn, welche herzustellen. Bricht aber die Industrie ein, zieht sie von der Trafik über die Tankstelle bis zum Restaurant alle sogenannten KMU mit in den Abgrund, denn diese sind darauf angewiesen, dass die Leute Geld zum Ausgeben haben.

Wie Corona die Arbeitswelt verändert

Die Konkurrenz zwischen den Unternehmen ist der Grund, warum sie permanent bestrebt sind, ihre Kosten zu senken und ihre Gewinnspannen zu erhöhen. Wenn sie das nicht tun, dann fallen sie der Konkurrenz zum Opfer und gehen bankrott, weil ihre Investoren sich von ihnen abwenden werden. Dass sie das aber tun, bedeutet in der Praxis, dass sie immer danach streben, so wenige ArbeiterInnen zu beschäftigen wie möglich (auch wenn sie expandieren).

In einem Aufsatz unter dem Titel „Wie Corona die Arbeitswelt verändert“ begeistert sich der bourgeoise Thinktank „Agenda Austria“ über die Entdeckung, dass die meisten Menschen im Homeoffice deutlich produktiver arbeiten können – und produktivere Mitarbeiter bedeuten, dass man weniger von ihnen braucht und Stellen abbauen kann.

Wer seinen Job weiterhin machen darf, muss im Gegenzug damit leben, dass die Arbeit ihn buchstäblich bis nach Hause verfolgt. „Es muss klar sein, welche Pflichten und welche Freiräume Mitarbeiter im Homeoffice haben“, steht in diesem Aufsatz mit vollkommener Schamlosigkeit. Was die Bürgerlichen am Homeoffice stört, sind „unter anderem die 11-stündige Ruhezeit zwischen zwei Tagesarbeitszeiten, absolute Arbeitszeithöchstgrenzen und die korrespondierende Verpflichtung zur Überwachung der Einhaltung dieser Grenzen, die den Arbeitgeber betrifft und mit Strafen sanktioniert ist“.

Aus diesem Grund würde die Bourgeoisie am liebsten auch alle Arbeitszeitregelungen komplett abschaffen: „Die Umstellung auf klare Zielvorgaben würde den rechtlichen Rahmen des Homeoffice vereinfachen. Zudem zeigen Studien, dass Arbeitnehmer besser motiviert werden können, wenn sie anhand von Zielen gemessen werden, anstatt ihre Arbeitsmoral auf Stundenbasis zu überwachen.“ Es braucht nicht erklärt zu werden, dass eine derartige Umstellung der Arbeit zu massiver Überbelastung im Homeoffice führen würde.

In der Industrie sieht es nicht besser aus. „Ein denkbares Szenario könnte zu einer verstärkten Nutzung von Leiharbeit sowie Zeit- und Werkverträgen führen“ – und tatsächlich ist es so, dass die Industrie, während sie Festangestellte entlässt, gleichzeitig immer mehr Leiharbeiter heranzieht, wenn es doch wieder einmal etwas zu tun gibt, um sie dann sofort wieder zu entlassen.

Arbeitslosigkeit und Privateigentum

An seinen Produktionsanlagen darf der Kapitalist so viele Leute arbeiten lassen, wie es ihm gerade passt, und niemand hat das Recht, ihm da wirklich hineinzureden. Genau das ist der Sinn des rechtlich geschützten Privateigentums an den Produktionsmitteln. Der Kapitalist hat deshalb auch das unbedingte Recht, Betriebe zu schließen und Mitarbeiter zu entlassen, wenn er dies für notwendig oder wirtschaftlich sinnvoll hält. Im Rahmen der Marktwirtschaft ist diese Entscheidungsfreiheit der Kapitalisten das oberste Gebot.

Gleichzeitig bedeutet die Konkurrenz, dass der Erfolg des einen Unternehmens immer den Bankrott eines anderen bedeutet und dass deshalb immer Menschen übrig bleiben und zur Arbeitslosigkeit verdammt sein werden. Die Arbeitslosigkeit ist ein notwendiger Bestandteil der bürgerlichen Gesellschaft.

Sebastian Kurz mag zwar versichern, für jeden Arbeitsplatz kämpfen zu wollen (SN, 05.10.20) – aber mit Sicherheit wird er diesen „Kampf“ niemals gegen diejenigen führen, die an der Arbeitslosigkeit schuld sind, nämlich gegen die Privateigentümer, die mit dem gleichen Recht den Leuten das Arbeiten (und Leben) verbieten, wie man ein „Betreten verboten“-Schild auf einem Grundstück aufstellt. Im Gegenteil. Er steckt ja mit diesen Leuten unter einer Decke. Wenn ein Sebastian Kurz gegen Arbeitslosigkeit „kämpfen“ will, dann in der Weise, dass er es für die Privateigentümer möglichst attraktiv macht, Leute anzustellen. Es muss profitabel für sie sein: Wenn die ArbeiterInnen sich fügen und für erheblich weniger Geld arbeiten, werden die Unternehmer am ehesten geneigt sein, ihnen das Betreten der Betriebe und die Arbeit mit den Maschinen, Werkzeugen, Computern, die sich im kapitalistischen Privateigentum befinden, zu gestatten.

Arbeitszeitverkürzung: Möglich und notwendig

Bei der Statistik Austria können wir nachlesen: 2019 betrug das Arbeitsvolumen der „Unselbstständigen“, also derer, die keine Produktionsmittel besitzen (sprich der Arbeiterklasse), in Österreich ungefähr 6 Mrd. Stunden. In Österreich gibt es außerdem ungefähr 6 Mio. Menschen in erwerbsfähigem Alter, was also einem Verhältnis von 1:1000 entspricht, 1000 Arbeitsstunden pro Jahr und Person bedeutet. Das sind ca. 85 Stunden im Monat und bei 20 Arbeitstagen im Monat ca. 4 Stunden am Tag.

Natürlich wird diese sehr grobe Überschlagsrechnung durch verschiedene Faktoren verzerrt. Erstens gibt es unterschiedliche Qualifikationen (die Arbeit eines Chirurgen lässt sich eher schwer verteilen), was aber nichts daran ändert, dass eine möglichst weitgehende Arbeitszeitverkürzung für die allermeisten Menschen eine deutliche Verbesserung ihres Lebens bedeuten würde. Zweitens wird im Kapitalismus unfassbar viel überflüssige Arbeit geleistet. Folgt man der Einschätzung David Graebers, dass ein Drittel unserer Jobs sogenannte „bullshit jobs“ seien, die bei einer vernünftigen Organisation der Wirtschaft wegfallen würden, fällt das Arbeitsvolumen entsprechend um weitere 1-2 Stunden pro Tag. Warum also arbeiten wir trotzdem täglich acht Stunden (oder mehr)?

Die Kapitalisten beschäftigen am liebsten so wenige Arbeitskräfte wie möglich, weil sie ihren ArbeiterInnen genug zahlen müssen, damit diese mit dem Lohn halbwegs über die Runden kommen. Einen Menschen am Leben zu halten, ist aber billiger als zwei. Deshalb ist es ihnen recht, wenn es so wenig Arbeitsplätze wie möglich gibt, an denen möglichst schwer gearbeitet wird, und dass die ArbeiterInnen untereinander möglichst intensiv um diese Jobs konkurrieren, weil damit wiederum die Löhne sinken. In dieser Hinsicht ist eine hohe Arbeitslosigkeit eigentlich gut für die Bourgeoisie, weil sie dadurch die Löhne leichter nach unten drücken und sie so noch mehr Geld aus unserer Arbeit herauspressen kann. Eine Arbeitszeitverkürzung hingegen passt ihr überhaupt nicht ins Konzept. Deshalb argumentiert sie relativ kaltschnäuzig: Wenn wir uns nicht ausreichend bereichern können, dann sperren wir den Betrieb zu und gehen woanders hin.

Der Reformismus für seinen Teil weiß nicht, wie er mit dieser Situation umgehen soll, weil er akzeptiert, dass die Produktionsmittel Privateigentum sind. Die Gewerkschaft, deren Aufgabe es wäre, Klassenkämpfe zu führen, um die Arbeiterklasse gegen die Angriffe der Bourgeoisie zu verteidigen, hat vor Kurzem ohne jeglichen Kampf den schmählichsten Metaller-Kollektivvertrag seit Jahrzehnten unterschrieben, weil sich die Gewerkschaftsführung von der Macht der Kapitalisten, Betriebe zuzumachen und die Leute zu entlassen, völlig einschüchtern lässt und glaubt, es wäre wichtig, dass es in Österreich ein gutes „Investitionsklima“ und dergleichen gibt. Mit 1,45 Prozent entspricht die Lohnerhöhung mehr oder weniger exakt der Inflationsrate und ist damit keine Lohnerhöhung. Und auch im Bereich der Arbeitszeit folgte vor zwei Jahren auf die Einführung des 12-Stunden-Tages eine völlige Kapitulation.

Wir weisen alle Argumente der Bourgeoisie und des Reformismus entschieden zurück und stellen fest: Es ist möglich und notwendig, die gesellschaftlich notwendige Arbeit auf alle Menschen aufzuteilen, ohne dass das für die Arbeiterklasse zu Einkommensverlusten führt. Wenn das Privateigentum an den Produktionsmitteln damit unverträglich ist, dann muss eben das Privateigentum verschwinden und nicht der Anspruch der Menschen auf ein würdevolles, sorgen- und stressfreies Leben. Daher fordern wir die völlige Verstaatlichung aller Banken und Schlüsselindustrien sowie die Einsetzung von Kontrollorganen der Arbeiterklasse in allen Betrieben, die darauf schauen, dass die Arbeit und der Gewinn vernünftig unter den Mitarbeitern aufgeteilt werden, anstatt dass es für ein paar parasitäre Spekulanten Dividenden regnet, während sich die Mehrheit entweder kaputtarbeitet oder verelendet oder beides.

(Funke Nr. 187/13.9.2020)


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