Die Tiroler Landtagswahlen vom 25. September bringen nicht nur der ÖVP eine krachende Niederlage, sie ermöglichen auch einen Ausblick auf die politische Entwicklung in ganz Österreich: Frust und Ablehnung gegenüber dem Status-quo und eine tiefe Krise des politischen Establishments. Von Martin Halder.

Die ÖVP stolpert von einer Krisenmeldung in die nächste. Die letzte war der Rücktritt der ÖVP-Generalsekretärin Sachslehner, welche ihrer Partei vorwarf, ihre bürgerliche Werte zu verraten, indem der Klimabonus auch an Asylwerber ausbezahlt wird.

Jede Wahlschlappe hat das Potenzial, diese Gräben in der Partei zu vertiefen. Deshalb verfolgt die Bundespartei mit Bauchschmerzen den Wahlausgang in Tirol, wo die ÖVP seit 77 Jahren regiert – die längste Zeit mit absoluter Mehrheit. Das Ergebnis war katastrophal: Die ÖVP verlor fast 10% und erreichte 34,7% der Stimmen, das schlechteste Ergebnis der Parteigeschichte. Unter Jugendlichen (16–29-Jährigen) ist sie nur noch drittstärkste Partei. Trotzdem zeigte sich die Partei und die bürgerliche Presse nach außen zufrieden, da man deutlich über der selbst definierten Schmerzgrenze von 30 % lag. Nehammer darf also noch einmal durchschnaufen, zumindest bis zur Landtagswahl in Niederösterreich Anfang nächsten Jahres, wo die Umfragen einen ähnlich desaströsen Einbruch prognostizieren.

Allgemeiner Unmut

Doch die Wahl ist nicht nur beispielhaft für die andauernde Krise der ÖVP und der Regierung, sie wirft auch ein Schlaglicht auf die allgemeine Stimmungslage in Österreich. Neben leistbarem Wohnen und der Energieversorgung war das zentralste Thema im Wahlkampf die Teuerung. 89% meinen, dass das Leben immer schwerer leistbar wird. Gleichzeitig haben fast die Hälfte kein bis wenig Vertrauen, dass die Tiroler Politik die kommenden Probleme lösen kann.

Die Wahlsieger waren vor allem die Liste FRITZ (+4,4%) sowie die FPÖ (+3,3%), die somit zweitstärkste Partei wurde. Weit davon eine glaubhafte Antwort auf die soziale Katastrophe der Inflation zu haben, stellen diese Zugewinne vor allem eine Gegenstimme zur ÖVP dar. Die Liste Fritz spricht sich etwa für eine Koalition mit allen Parteien außer der ÖVP aus. „Die Mehrheit der ÖVP brechen“ war bei beiden ein wichtiges Wahlmotiv.

Stabilitätsanker SPÖ

Die SPÖ hat kaum Zugewinne und fällt mit 17,5% sogar auf den dritten Platz. Angesichts der Krise der ÖVP und der wichtigen Rolle, die soziale Fragen für die Wahlentscheidung spielten, ist dies eine Niederlage.

Dies liegt daran, dass sich die SPÖ vollumfänglich der Stabilität des kapitalistischen Systems verschrieben hat. In der Frage der Teuerung fordert die SPÖ Steuerentlastungen und soziale Zuschüsse, die den Konzernen nicht besonders weh tun und somit auch nicht in der Lage sind, die inflationäre Katastrophe aus den Profit des Kapitals statt aus den Taschen der ArbeiterInnen zu zahlen. Derartige Vorschläge werden teils schon selbst von der ÖVP umgesetzt, um die krisengebeutelte Regierung zu stützen.

Und auch in der Koalitionsfrage kommt man der ÖVP entgegen, um Mitregieren zu können. Der Tiroler Parteiobmann Dornauer hat bereits im Wahlkampf für eine ÖVP-SPÖ-Koalition geworben. Kein Wunder, dass die Partei auch in Tirol als Teil des Status-quo verstanden wird.

Ein ehemaliger Bauarbeiter aus dem Bezirk Schwaz beschreibt uns seine Wahlüberlegungen:

„Wennst mir vor 30 Jahren gesagt hättest, dass ich nicht wählen geh, hätte ich dich gefragt, obst deppad bist. Heute weiß ich nicht, warum ich da hingehen soll. Da machst dich ja mitschuldig. Die Kommunisten stehen bei uns ja ned am Stimmzettel, vielleicht geb ich noch mal den Roten die Stimm, aber die packeln dann wieder mit die Schwarzen. Diese Demokratie ist halt echt am Ende."

Dem ist nichts hinzuzufügen.

(Funke Nr. 207/27.9.2022)


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