Im Jahr 1927 schrieb die russische Revolutionärin Alexandra Kollontai den Roman „Rote Liebe“. Er erzählt die Liebesgeschichte der Bolschewikin Wassilissa und spielt in der Zeit direkt nach der Russischen Revolution bis zur Neuen Ökonomischen Politik. Die Widersprüche zwischen revolutionären ArbeiterInnen, den Überresten der alten Gesellschaft und einer entstehenden Bürokratie sind spürbar, während Wassilissa damit ringt, ihr Ideal von Freiheit mit patriarchalen Vorstellungen in ihrer Beziehung zu vereinen. Kollontais Roman „Rote Liebe“ ist bald als Theaterstück in Wien zu sehen. Yola Kipcak sprachen mit Regisseurin Olga Dimitrijevic.
Als Theatermacherin, wie siehst du die Verbindung zwischen Kunst, vor allem Theater, und Politik?
Kunst ist untrennbar mit Politik verbunden, da sie Teil der Gesellschaft ist. Selbst die kleinsten politischen Veränderungen sind oft durch die Brille des Theaters zu beobachten. Zudem finde ich, dass Melodrama – mein liebstes Genre – sehr politisch ist. Denn in einfachen Liebesgeschichten liegt die ganze Welt mit ihren sozialen und politischen Verhältnissen verborgen.
Warum hast du dich entschieden, „Rote Liebe“ aufzuführen – warum denkst du, dass es heute noch relevant ist?
Wenn wir heute über Alternativen zum Kapitalismus reden, und wie eine gerechtere Gesellschaft aussehen soll, ist das Werk von Alexandra Kollontai immer noch hochaktuell, vom Ökonomischen bis hin zum Emotionalen. Revolution bedeutet eine radikale Veränderung der Machtverhältnisse. Diese Veränderung muss auch in der Sphäre der Familie passieren. Das Patriarchat, Heteronormativität, die bürgerliche Ehe und traditionelle Familie sind nicht mit einer gerechten Welt vereinbar. Für Kollontai ist Liebe ein soziales, daher auch ein „öffentliches“ Gefühl, keine Privatsache. Liebe hat revolutionäres Potential.
Obwohl „Rote Liebe“ vor 90 Jahren geschrieben wurde, sind Wassilissas Probleme ähnlich denen heutiger Frauen. Wo siehst du die Gemeinsamkeiten von Beziehungen damals und heute?
Heute wird immer noch von freier Liebe als eine Möglichkeit, das Patriarchat oder Monogamie zu überwinden, geredet. Freie Liebe klingt vielleicht gut, aber sie funktioniert nicht, solange die Geschlechterverhältnisse in der Gesellschaft ungleich bleiben, sie braucht mehr als guten Willen und Beharrlichkeit. Kollontai versuchte, die Grenzen des Patriarchats, und der daraus resultierenden Ehemann-Frau-Affäre-Dreiecksbeziehung zu überwinden. Aufgrund der Ungleichheit führt freie Liebe immer zur zusätzlichen emotionalen Unterdrückung von Frauen. Daher muss sie bezwungen werden und dann neue Beziehungen, oder Bindungen, auf Basis von Solidarität und Gleichheit aufgebaut werden.
Das Ende Wassilissas Geschichte heißt „Freiheit“, in der sie Glück durch ihre Arbeit, Unabhängigkeit und die starke Bindung zu ihrer Community findet. Teilst du ihre Vorstellungen von Freiheit, und denkst du, dass sie innerhalb des Kapitalismus erreicht werden kann?
Politisch teile ich viele von Kollontais Vorstellungen von Freiheit. Und obwohl die gänzliche Befreiung nur mit dem Sturz des Kapitalismus erreichbar ist, können wir nicht erwarten, dass die Veränderung über Nacht passiert, oder gar ganz aufgeben. In der heutigen Situation einer Krise ist politische Vorstellungskraft – insbesondere durch das Praktizieren von Kunst – sehr wichtig. Wir erforschen Alternativen und suchen nach funktionierenden Modellen für Beziehungen … wie ich es in einem anderen Stück ausgedrückt habe: Wenn wir aufhören, uns eine bessere Welt vorzustellen, sind wir völlig verloren.
Olga (geb. 1984) ist eine jugoslawische Theaterautorin und Dramaturgin. Ihre Werke thematisieren soziale Themen, u.a. in dem preisgekrönten Stück „Arbeiter sterben singend“ (2011), „Das Stück des Volkes“ (2012) oder dem Kabarett „Hinter dem Spiegel“ über das Leben von transgender Prostituierten in Serbien (2012). „Rote Liebe“ wird am 16. September 2016 als Eröffnung des „Wienwoche“-Festivals im Werk X-Eldorado aufgeführt.