PRO-GE. Unter diesem Motto tagt die dritte Konferenz der Produktionsgewerkschaft. Der 90-seitige Programmentwurf des Bundesvorstandes spiegelt die sich ändernde Arbeitswelt in einer sich rasch wandelnden Welt wieder – ohne jedoch stimmige Analysen und greifbare Antworten zu liefern, meint Emanuel Tomaselli.


Die Produktionsgewerkschaft ging vor nunmehr 8 Jahren aus dem Zusammenschluss mehrerer Gewerkschaften hervor und organisiert die Mehrheit der ArbeiterInnen in der Produktion. Damit fällt ihr neben den EisenbahnerInnen eine zentrale Rolle in der österreichischen Arbeiterbewegung zu: „Alle Räder stehen still, wenn dein starker Arm es will“, dies gilt gerade hier. Doch das grundlegende Verständnis, dass die (Verhandlungs-)Macht der Gewerkschaften gerade auf ihrer Fähigkeit beruht, die Arbeit kollektiv niederzulegen, fand keinerlei Erwähnung im Papier.

Gewerkschaften unter Druck

Dies ist umso erstaunlicher, da das Papier die nachlassende Spannkraft der Gewerkschaften thematisiert und versucht Antworten darauf zu geben. Die gewerkschaftliche Organisationsdichte in Österreich ist von 1975 bis 2017 von ca. 60% auf rund 33% gesunken. Das Institut Forba kam bereits 2006 zum Schluss, dass nur 14 Prozent der infrage kommenden Betriebe über einen Betriebsrat verfügen, in der Privatwirtschaft hatten 2012 39% der ArbeiterInnen und Angestellten einen Betriebsrat zur Verfügung. Zwischen 2013 und 2017 ist die Zahl der ArbeiterInnen im Bereich der Pro-Ge in deren Betrieb es einen Betriebsrat gibt um 5,2 % gesunken, die Zahl der Betriebsratsgremien sogar um 8,3%. Aus diesen Zahlen, die in der gewählten Darstellung keine Gesamtanalyse zulassen, lassen sich dennoch Trends ableiten: Die Betriebsräte konzentrieren sich verstärkt auf Großbetriebe, und es entsteht eine immer breitere Landschaft an unorganisierten (Klein-)Betrieben.

Eine wesentliche Ursache dieses Prozesses wird im Verlust der „Schutzbündnisfunktion“ der Gewerkschaft gesehen, worunter die defacto Verstaatlichung der Versorgungskassen (Krankenkassa, etc.) verstanden wird. Die Individualisierung an der Arbeit und Freizeit, neue Arbeitsverhältnisse, Digitalisierung werden als weitere Faktoren genannt. Demgegenüber betont das vorliegende Papier, dass die ausgleichende Rolle der Betriebsräte zu besserem Betriebserfolg führen würde, schwerlich ein Argument, das bedrängte KollegInnen dazu bringen wird sich zu einem Betriebsrat zusammenzuschließen.


Jeder Bezirksvorstand der Pro-Ge wird verpflichtet eine Arbeitsgruppe zu etablieren um einen bisher unorganisierten Betrieb in der Region zu organisieren. Zur Frage der Kollektivverträge hat die Pro-Ge einen klaren Leitsatz: „Unser Modell ist jenes der Flächenkollektivverträge mit größtmöglichen räumlichen und fachlichen Geltungsbereichen. Wir lehnen eine Zersplitterung der Kollektivverträge genauso ab, wie eine Verlagerung relevanter Verhandlungsprozesse auf die betriebliche Ebene.“ Dass sich in den vergangenen Jahren die Aufspaltung des größten Flächenkollektivvertages, jenes der Metallersektoren, verfestigt hat wird jedoch nicht konkret diskutiert, es bleibt hier bei einer abstrakten Willenserklärung.

Mehr Klarheit ist nötig

Die Frage der Organisationsdichte und der betriebsrätlichen Vertretung sind entscheidende Fragen der Stärke der Gewerkschaftsbewegung. Der Plan, hier bewusst gegen den Trend zu steuern und eine Organisierungsoffensive einzuleiten, ist mehr als begrüßenswert. Die Chancen dafür wären aber umso größer, wenn sie in klare politische Perspektiven und Kampfeswillen eingebettet wären. Der Bundesvorstand selbst betont, dass die Gewerkschaft auch eine politische Organisation ist und ebensolche Forderungen erhebt. Ein Gutteil der Forderungen richtet sich so auch an den Gesetzgeber, nichts wird aber darüber gesagt wie die Forderungen gegenüber den unternehmerfreundlichen Mehrheitsverhältnissen im Parlament durchgesetzt werden, beziehungsweise wie man in der Gesellschaft kämpfen muss um die Mehrheitsverhältnisse umzudrehen.


Nun ist es nicht möglich und erforderlich jedes Detail und jede Konfliktlinie zu benennen, allerdings ist das Papier durch und durch zusammengewürfelt und erlaubt der kommenden Führung so alles und verpflichtet zu nichts. Beispiel Arbeitslosigkeit und Gesundheit: Es werden eine Vielzahl von richtigen Forderungen erhoben, etwa unterschiedliche Formen der Arbeitszeitverkürzung, bis hin zur langfristig zu erreichenden 30 Stunden Woche. Angesichts der Verdichtung der Arbeit ist dies eine absoluten Notwendigkeit, und die richtige Antwort auf die von den Unternehmern aktuell erwünschte völlige Entgrenzung der Arbeitszeit. Wie man den aktuellen Konflikt um die Arbeitszeit mit den Unternehmern zu führen gedenkt, wie man die 30 Stunden Woche erreichen könnte und bis wann, dies alles wird nicht skizziert. In einem Punkt tritt das Papier hinter die bisherige Positionierung zurück. Wurde 2013 noch die Rolle einer staatlichen Auffanggesellschaft für Pleitebetriebe diskutiert, wird diesmal überhaupt keine Perspektive für den konkreten Kampf gegen Arbeitsplatzplatzabbau mehr genannt. Es wird gefordert, dass Roboter zuerst abgeschalten werden müssen bevor es zu Kündigungen kommt - dies ist ein frommer sonntäglicher Wunsch. Nirgends wird formuliert, dass der Erhalt eines Standortes und von regionaler Beschäftigung über dem Profitinteresse des Eigentümers steht.


Ein klares Bild über die generelle Situation und daraus abgeleitete Kampflinien lässt das Papier nicht zu. Die getroffene Analyse der kapitalistischen Krise ist falsch – sie wird als neoliberale Finanzkrise beschrieben und dementsprechend staatliche Regulierungen gefordert – vor allem aber wird eine Veränderung der Moral der Unternehmer verlangt, „nur ein begrenztes Gewinnstreben ist ein legitimes“. Diese Stoßrichtung ist völlig fruchtlos, realitätsfremd und verbannt die Arbeiterbewegung ins Himmelreich. Der Kapitalismus kennt und braucht keine Moral um zu funktionieren, sondern nur das Wirken des Prinzips des Profites. Die Kraft zu entwickeln die Profitschöpfung durch die Ausbeutung der Arbeitskraft durch die Waffe der Solidarität der Arbeitenden zu durchbrechen, dieser Aufgabe stellt sich das Papier nicht in der notwendig klaren Art und Weise. Die Kritik der kämpferischen Praxis wird sich aus den Umständen der tatsächlichen Verhältnisse den Weg bahnen. In der Praxis werden wir weiterhin sehen, dass den rollenden Angriffe der moralisch völlig unbeschwerten Kapitaleigner nur durch eigene Stärke zu begegnen ist.

Dieser Artikel erschien erstmals am 30.5.2018 im Funke Nr. 164


 

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